Hambacher Forst: Die Barrikadenräumung vom 28.6. aus Sicht einer unbeteiligten Waldbesucherin

Veröffentlicht auf der Facebook-Seite der Initiative „Buirer für Buir“. Danke an die Verfasserin, dass wir den Text hier übernehmen dürfen:

Barrikadenräumung im Hambacher Wald am 28. Juni 2018 –
M. war vor Ort und hat ihre Erlebnisse, Beobachtungen und Eindrücke geschildert –
Danke M., dass du uns und die LeserInnen dran teilhaben lässt.
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Heute war ich einige Stunden im Hambacher Forst und schreibe nun alles auf, um mich zu sortieren und möglichst wenige Eindrücke und Erlebtes zu vergessen.

Als ich gegen Mittag am Waldeingang (Zufahrt Kieswerk Collas) ankomme, stehen dort mehr als ein Dutzend Polizist(inn)en in voller Montur (incl. Schutzschildern sowie Gasmasken und Helmen am Gürtel), der Polizeipräsident Weinspach, etliche Polizeibeamte in Zivil, ein Räumkommando von RWE und (wie ich erst später herausfinde) mindestens drei Mitarbeiter(innen) verschiedener Ordnungsämter. Ich stelle mich keck dazu und sehe mir an, wie mit einem riesigen Kran, der ansonsten wohl zum Aufladen von Holzstämmen benutzt wird, die Barrikade am Eingang des Waldes geräumt und das Material auf einen riesigen LKW verladen wird.
Zuerst bin ich an dieser Stelle die einzige “Zivilperson” und frage vorsichtig zwei der anderen Personen in Straßenkleidung, ob sie schon lange hier seien. Aus den abblockenden, knappen Antworten wird mir sofort klar, dass alle anderen von Berufs wegen und von den Bürger(inne)n bezahlt vor Ort sind. Nach ein paar Minuten fragt mich einer der schwer bewaffneten Polizisten, was ich denn dort machen würde. Ich antworte wahrheitsgemäß: “Ich gucke mir an, was hier passiert – so wie Sie auch!” Stets bin ich im Blickfeld etlicher Beamter, die wohl nicht so recht wissen, was sie “mit mir machen sollen”.
Ich kann hören, dass Herr Weinspach nach einem Telefonat zu einem der Gruppenführer sagt, dass Polizei und RWE gleich im Wald ihre Kräfte bündeln wollen. Ein großer Teil der Beamten, der Polizeipräsident und die zivil gekleideten Personen gehen tiefer in den Wald hinein.
Es bleiben fünf uniformierte Beamte zurück und bitten mich darum, „aus Sicherheitsgründen ein paar Meter hinter ihnen zu bleiben“. Als diese Barrikade geräumt ist, kommen drei Frauen vorbei und gehen in den Wald hinein. Ich folge ihnen, schließe mich ihnen an, und wir gehen gemeinsam nach GALLIEN – so wird diese Stelle im Wald mit Baumhäusern, Wohnzelten, Gemeinschaftsküche, Toiletten, Dusche etc. genannt.
Über Stunden sind wir die einzigen Personen, die Öffentlichkeit herstellen. Die anwesenden Aktivisten verhalten sich sehr ruhig.

Es stellt sich heraus, dass wir „genau am richtigen Platz sind“. Ein Kontaktbeamter der Polizei informiert uns, dass nun „der Müll und alles eingesammelt werden soll, was zum erneuten Barrikadenbau verwendet werden könnte“.
Ca. 60 Polizeibeamte in voller Montur, die Kontaktbeamten, die Mitarbeiter des Ordnungsamtes und ca. 20 RWE-Beschäftigte kommen nach GALLIEN. Die Parole: Wir müssen den Müll einsammeln!
Nach einem kurzen Gespräch mit einem Kontaktbeamten wird den Aktivisten ein wenig Zeit eingeräumt, um ihre persönlichen Sachen in Sicherheit zu bringen. Zuerst heißt es, dass alle Zelte und Baumhäuser stehen bleiben dürfen. Es soll nur „der Müll entfernt werden“.
Mehrfach spreche ich mit dem Polizeipräsidenten und sage ihm z.B., dass ich das Polizeiaufgebot mit Hundertschaft und Hubschrauber für völlig überzogen halte. Er meint, dass die Polizei heute sehr human vorgehen würde und eigentlich ganz anders eingreifen könne. Er hätte seine besten Leute mitgebracht und die würden ja auch keine Helme tragen. Seiner Meinung nach würde ich in einer Blase leben. Er würde massive Beschwerden von den Jagdpächtern erhalten, weil ihre Hochsitze abgebrannt und die Jäger von Aktivisten beschimpft und angegriffen würden. Die Jäger müssten unbedingt verhindern, dass sich die Wildschweine noch weiter vermehren und ausbreiten würden – die Schäden wären zu groß. Es könne nicht angehen, dass im Wald ein rechtsfreier Raum sei bzw. die Aktivisten bestimmen würden, wer welches Areal betreten dürfe und wer nicht. AfD und RWE würden ein viel härteres Durchgreifen der Polizei im Hambacher Forst fordern. Er brachte von sich aus ein Beispiel: Die Aktivisten wären ich Sachen „Sexismus“ wesentlich konsequenter, würden das gar nicht akzeptieren, sondern jeden direkt aus dem Wald vertreiben, der diese Regel missachte. Doch Aktivisten würden die Jäger, RWE-Beschäftigte und Polizisten beschimpfen und körperlich angehen; das dürfe nicht sein.

Nun beginnt ein „verbaler Kampf“ um jedes Zelt. Die Zuständigkeiten bzw. Entscheidungsbefugnisse von Polizei, Ordnungsamt und RWE sind für mich absolut nicht nachvollziehbar. Jede/r schiebt die Verantwortung auf die jeweils Andere/n. Mir wird dieses Hin- und Hergeschiebe schließlich zu bunt, und ich wiederhole laut eine Antwort, die mir Herr Weinspach soeben gegeben hat: „Der Polizeipräsident hat hier keine Entscheidungsbefugnis!“ und frage dann noch lauter: „Wo sind denn jetzt die Mitarbeiter des Ordnungsamtes?“ Herr Weinspach steht in diesem Moment neben mir und schaut mehr als säuerlich aus der Wäsche.
Die Mitarbeiter des Ordnungsamtes geben mir nach weiterem Hin und Her die Auskunft, dass sie nur hier sind, um zu sagen, was Müll sei; aber die Entscheidungen, was dann tatsächlich entsorgt wird, von den RWE-Beschäftigten getroffen und ausgeführt werden. Es ist eine Posse sondergleichen.

Die Aktivisten haben sich zum größten Teil in die Baumhäuser begeben und sind vorbildlich ruhig; einige sorgen dafür, dass die Gemeinschaftsküche nicht abgerissen wird. Wir vier Frauen bringen das Eine oder Andere in Sicherheit, setzen uns dafür ein, dass die Toiletten und die Dusche bleiben dürfen, können aber letztendlich nicht verhindern, dass viele Zelte von RWE-Beschäftigten sinnlos zerstört und entsorgt werden. Auch die Info-Tafel soll weg – ich hänge die Infos vorher noch ab.

Weil sich die Mitarbeiter des Ordnungsamtes und vor allem die RWE-Beschäftigten nicht vorstellen können, dass unter der einen oder anderen Zeltplane Menschen leben und schlafen, werden viele Zelte abgerissen und „als Müll entsorgt“. Die Kleiderkammer darf nach langer Diskussion und vielen Fotos, die Polizei und RWE davon anfertigen, dann doch bleiben.

„Räumung von Bodenstrukturen“ ist die Äußerung des Tages, die immer wieder zu hören ist.
Die Polizist(inn)en stehen meist in Fünfergruppen herum und beobachten das Schauspiel. Die Mitarbeiter des Ordnungsamtes, die Kontaktbeamten, der Polizeipräsident, die RWE-Beschäftigten, Aktivisten und wir vier Frauen laufen in GALLIEN hin und her. Es werden viele Dinge, die für die Aktivisten wichtig sind, willkürlich demoliert und weggetragen. Die Planen beispielsweise, mit denen sie Regenwasser auffangen, sind nun alle fort.

Schließlich rücken noch zwei RWE-Beschäftigte mit Stihl-Motorsägen an und sägen u.a. Paletten in der Mitte durch. Das ist eine ganz tolle Leistung vor großem Publikum. Diese Paletten dienten als Sitzplätze und nun wird aus funktionierender Infrastruktur Müll gemacht, der dann aber nicht mal mitgenommen wird. Das ist auch anderswo im Wald zu beobachten.

Eine Frau vom Ordnungsamt sagt mir, dass sie nur für die Barrikadenentfernung angefordert war – von einem Einsatz in der Waldbesetzung sei vorher keine Rede gewesen.

Später kommt Herr Weinspach noch einmal auf mich zu und sagt: „Wenn Sie die Planen und Materialen der Aktivisten retten, die dann zum nächsten Barrikadenbau verwendet werden können, dann sind Sie mit Schuld daran, dass es bald wieder einen Einsatz geben wird.“ Das ist doch mal eine ganz neue Logik: Ich bin Schuld! Gut, dass er mir das gesagt hat – das hatte ich nämlich bislang noch nicht gewusst.

Ab 16 Uhr schauen Polizisten und Mitarbeiter des Ordnungsamtes immer häufiger auf ihre Armbanduhren. Gegen 16:30 Uhr wird der Einsatz in GALLIEN beendet.
Die Baumhäuser sind und bleiben tabu – heute! Wer weiß, was in Kürze noch kommen wird, denn abschließend werden die befestigten Wege mit Hilfe eines Häckslers und/oder Mulchers auf 6 Meter verbreitert und bei dieser Gelegenheit die Eichenprozessionsspinner nebst deren gefährlichen Haaren durch die Luft gewirbelt. Mit dem Vorwand „Rettungswege freihalten“ darf RWE zu dieser Jahreszeit Buchen am Wegesrand schreddern.

Die Aktivisten haben sich vorbildlich ruhig verhalten – mir fiel das heute extrem schwer. Einmal habe ich sogar ganz laut „STOP“ gebrüllt, und alle schauten mich total verdutzt an. Aber es hat gewirkt.
Ich bin froh, dass ich heute im Hambacher Forst war. Mein Kopf ist voller Eindrücke, und die Bilder von den Polizisten und den RWE-Beschäftigten hinterlassen bei mir das Gefühl: Es ist Krieg!!!

Nun ist Unterstützung für die Aktivisten im Wald nötiger denn je. Wenn Du kannst, dann fahre bitte schnellstmöglich in den Hambacher Forst und bringe mit, was dort gebraucht wird.