Zum Nachlesen empfohlen: Der Predigt-Text des Adventsgottesdienstes in der Kuckumer Kirche am 23.12.

Der Text aus dem Römerbrief wurde ausgesucht, weil das Thema „Hoffen und Warten“ zum heutigen Vorabend des 4. Adventssonntags passt:

Advent, das ist die Zeit, die wir als Kinder mit Hoffen, Warten und Vorbereiten verbrachten. Zwar merkt man inzwischen vor lauter Weihnachtsschmuck, Weihnachtsmusik, Glühwein und Weihnachtsfeiern kaum noch, dass die Adventszeit seit dem 7. Jahrhundert eine vierzigtägige Fastenzeit war, die die Alte Kirche auf die Tage zwischen dem 11. November und dem ursprünglichen Weihnachtstermin am 6. nuar festlegte. Seit Hunderten von Jahren verbringt also ein immer noch recht großer Teil der Menschheit einen ganzen Monat mit Warten.
Man kann das für unsinnig halten oder schlicht für eine liebgewordene, heimelige Tradition. Man kann daraus aber auch schließen, dass das, worauf ursprünglich gewartet wurde, etwas extrem Wichtiges sein muss: Die Ankunft des Retters der Welt.
Es ist ja so eine Sache mit dem Warten. Die einen von uns sind sehr ungeduldig und wollen alles immer sofort haben und die anderen haben eine Engelsgeduld, die die Ungeduldigen schier zur Verzweiflung bringen kann. Die meisten von uns werden irgendwo dazwischen liegen.
Da aber unsere Gesellschaft als Ganzes sicher die Fähigkeit zu Warten großenteils verloren hat, hier ein paar Gedanken zu diesem Thema, das für die Bibel und für unser tägliches Leben als Menschen und gerade auch als Christen äußerst wichtig ist.
Die Bibel, vor allem das erste Testament ist voll von Geschichten von Menschen, die warten müssen: Kinderlose warten darauf, endlich Eltern zu werden; Menschen werden getrennt durch List, Flucht, Deportation und Krieg, sie vermissen einander und warten darauf, wieder zusammen zu sein; Liebenden werden lange Wartezeiten auferlegt, bis sie zusammen kommen können. Und alle warten auf den Messias. Den Retter der Welt, den Gott versprochen hat. Mit ihm soll alles anders,
alles gut werden.
„Gottes Mühlen mahlen langsam“, heißt es in einem Sprichwort. Gott hat offensichtlich kein Problem damit, uns Menschen warten zu lassen, vielleicht bis der wirklich passende Zeitpunkt für ein Ereignis gekommen ist.
So warten und hoffen auch heute viele Menschen: z. B. auf das Ende des Krieges in der Ukraine, dem zwischen Israel und Palästina, oder einem der zahlreichen anderen Kriege, denen von den Medien keine Aufmerksamkeit zukommt; sie warten auf wirksame Vereinbarungen zur weltweiten Klimagerechtigkeit, oder hier in den Dörfern darauf, dass die Bagger endlich verschwinden, dass die Dörfer wirklich als Dörfer bestehen bleiben können, dass es wieder funktionierende Dorfgemeinschaften gibt, dass die fruchtbaren Ackerflächen für Lebensmittelproduktion erhalten bleiben und nicht für z.B. Logistikzentren genutzt werden.
Bei Paulus ist die Rede vom geduldigen Warten auf die Verwirklichung unserer Hoffnung: Vom Warten darauf, dass Gottes Reich kommt, wo es Gerechtigkeit für alle gibt und Leid passé ist, weil das Leben vollkommen ist.
Auch zur Zeit des Paulus haben die Menschen sehnsüchtig gewartet. Sie rechneten damit, den wiederkommenden Christus zu ihren Lebzeiten zu sehen, der den neuen Himmel und die neue Erde mit sich bringt – und sie waren beunruhigt, als doch einige schon starben, und Christus noch nicht erschienen war. Auch unter ihnen gab es Spötter, die sagten: „Da kommt nichts mehr“. Auch unter ihnen gab es den angefochtenen Glauben, der sich bang fragte: „Wo ist Gott denn? Hat er mich
verlassen?“

Auch Paulus erwartete damals, den neuen Himmel noch zu erleben. Er schreibt, dass das Warten dazugehört, wenn es um die Erfüllung unserer Hoffnung geht, und dass diese am Ende der Zeit bei Gott reichlich erfüllt wird.
Man könnte diese Bibelstelle natürlich so interpretieren, dass wir jetzt die Hände in den Schoß legen, uns zurücklehnen und geduldig warten und Tee trinken können. Aber das kann so nicht gemeint sein, wir Menschen sind nicht als passive Wesen geschaffen.
Sich im Warten einrichten ist eher etwas Schreckliches; wer wartet und nicht aktiv wird, vergeudet im Extremfall vielleicht sogar sein Leben.
Warten hat unterschiedliche Aspekte:
Abwarten, Ausharren, Erwarten. Dieser Aspekt ist auf Zukunft gerichtet, im besten Fall mit Zuversicht und Vertrauen verbunden, und auch mit „Geduld“, einer Tugend, die Vielen – auch mir – meistens nicht gegeben ist. Dafür muss man sich selber zurücknehmen, die eigene Meinung weniger wichtig nehmen und begreifen, dass auch andere Wege zu guten Ergebnissen führen können, Wege, die man selber nie gehen würde.
Warten bedeutet weiterhin: Wachsam sein. Wächter haben eine erhöhte Warte, von der aus sie Ausschau halten, die Lage überblicken und drohende Gefahren sehen können. In diesem Sinn bedeutet Warten: Acht geben, Aufpassen darauf, wie es unserer Welt und unseren Mitmenschen geht, was ihnen fehlt, was geändert werden sollte.
Wartezeit ist im Idealfall gefüllte Zeit, in der es darum geht, zu gestalten, zu bewegen, voranzubringen.
Schließlich drittens: Warten als Wartung und Pflege. Den Abschnitt „Wartung und Pflege“ findet man in fast jeder Bedienungsanleitung. „Warten“ bedeutet dabei prüfen, ob alles funktioniert, neu ausrichten, wenn etwas schlecht funktioniert, und pflegen, damit es auch weiter funktioniert.
Im Römerbrief ist die Rede von „Den Leiden der jetzigen Zeit“, wir erleben und erleiden heute, dass das Leiden immer noch andauert oder aktuell sogar zunimmt. Die Menschheit spielt aktuell wieder verrückt, zerstört ihre Lebensgrundlage, unsere Erde, und schlägt sich anscheinend mit Wonne die Köpfe ein. Wir sind weit entfernt von der verheißenen Herrlichkeit.
Im Schauspiel „Warten auf Godot“ schildert Samuel Beckett das Warten der Menschen auf einen Sinn des Lebens. Godot kam nie. Die beiden Akteure Estragon und Vladimir warteten vergeblich; sie machen die Erfahrung, dass es keinen Sinn des Lebens gibt, dass das Dasein in sich sinnlos ist. Aber ihr Warten war passiv.
Die Unruhe, auf etwas zu warten, von dem man nicht sicher ist, ob es je kommt, kennen die meisten. Wie Vladimir und Estragon warten wir darauf, dass unser Leben aufgeht. Dass der Sinn des Ganzen sich zeigt, und sich alles nach einem schönen Muster fügt. Aber es ist eine ängstliche Wartezeit, denn viele unserer Erfahrungen stehen dem Vertrauen auf ein gutes Ende entgegen.
Paulus versichert uns eine zukünftige Herrlichkeit, er erinnert daran, dass wir schon gerettet sind, aber gerettet mit Hoffnung, Warten und Geduld.
Heinrich Spoerl hat einmal formuliert: „Die Kunst des Wartens besteht darin, inzwischen etwas anderes zu tun.“
Die Zeit des Wartens also aktiv füllen, mit Geduld, Aufmerksamkeit und Fürsorge – eine große Aufgabe – nicht nur in der Adventszeit!

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(Vielen Dank an Irene Mörsch.)

Vom Zauber der Eiben und der Geschichte der Eibenkapelle

Werden auch Maria und das Jesuskind aus Lützerath vertrieben werden?

Es gibt ein kleines ökumenisches Gotteshaus in Lützerath, genauso improvisiert und fragil wie manches von den Strukturen der Aktivisti, die in Lützerath von Neuem versuchen, was an den zweitausend Jahre alten Lebensentwurf der Apostelgeschichte erinnert: Alle aber, die Vertrauen gefasst hatten, waren zusammen und teilten alles, was sie hatten. Sie verkauften ihren Besitz und ihr Vermögen und verteilten den Erlös an alle, je nachdem jemand Not litt.

Die fünfeckige Einfassung direkt am Ortseingang wird seit ihrer Wiederentdeckung im Sommer 2021 „Eibenkapelle“ genannt. Alte Karten zeigen an dieser Stelle ein kleines, als Gotteshaus gekennzeichnetes Gebäude. In den 1850er Jahren wurde hier ein Wegekreuz aufgestellt. Die Vorgänger des inzwischen vertriebenen Bauern Eckhardt Heukamp haben das Grundstück der Kirche geschenkt. Bis heute gehört es zum verbliebenen Fonds der aufgehobenen und abgebaggerten Pfarre Immerath. Der verantwortliche zentrale Pfarrer in Erkelenz weigert sich, den Nutzungsvertrag mit dem Energiegiganten RWE Power AG zu kündigen.

Die Eibenkapelle hat ihren Namen von einem Kranz von Eiben, die wie schützend rings um die Einzäunung wachsen. Die alten Bäume wölben sich wie ein Dach über dem gemauerten Fünfeck und schaffen einen Eindruck von Geborgenheit und Bewohntheit – trotz der Schaufelradbagger, die sich in etwa zweihundert Metern Entfernung Tag und Nacht drehen und die Zerstörung des gemeinsamen Hauses Erde befeuern.

Der lange verlassene Ort wird mittlerweile von den unterschiedlichsten Menschen gepflegt und ist mit Zeugnissen ihres persönlichen Glaubens geschmückt: Neben einer kleinen Buddhastatue aus dem indischen Patna stehen hier ein Franziskus aus Belo Horizonte in Brasilien, ein Foto der von Bodenspekulanten ermordeten brasilianischen Ordensfrau Dorothy Stang, eine Dreifaltigkeitsikone, eine Marienikone und eine von einem Menschen im Revier geschaffene moderne Ikone, die vom „Hambiretter“ Arnold von Arnoldsweiler erzählt. Beim vorläufig letzten Gottesdienst in der Keyenberger Kirche entzündete ein jugendlicher Aktivist am ersten Advent 2021 ein Licht an deren verlöschendem ewigen Licht und brachte es in die Eibenkapelle, wo es seitdem brennt.

Am 1.8.2021 kam hier der ca. 420 km lange Kreuzweg für die Schöpfung mit einem gelben Kreuz an. Das Kreuz wurde zu Fuß von Gorleben bis zu diesem Standpunkt im Rheinischen Braunkohlerevier getragen. Als der protestantische Bischof von Hannover von der Wiederentdeckung der kleinen Kapelle erfuhr, sprach er von einem „Fingerzeig“ Gottes.

Doch NRW-Innenminister Reul zieht wieder in den Kampf für CO2-Emmissionen, obwohl der Rechtstreit um den von ihm verursachten, bis dato teuersten Polizeieinsatz in NRWs Geschichte noch nicht ausgestanden ist. Das Verwaltungsgericht Köln betrachtet die Räumung des Hambacher Waldes als rechtswidrig; mit brachialer Verwaltungsgewalt musste der Minister die Stadtverwaltung und den Rat Kerpen zwingen, gegen dieses Urteil Berufung einzulegen. Die grüne Vorarbeit von Minister Habeck und Ministerin Neubaur nutzte ihm zunächst nichts, sein eigener Parteifreund, der Erkelenzer Bürgermeister Muckel, weigerte sich, die Polizei Aachen für die Räumung Lützeraths anzufordern, bis der Heinsberger Landrat Pusch die Räumungsverfügung schließlich unterzeichnete.

In Aachen ist die Polizei dennoch längst auf den Einsatz vorbereitet. Und so bleibt bei allen, denen die Zukunft der Schöpfung am Herzen liegt, die bange Frage: Wird das Jesuskind (auf der Muttergottesikone) nach Weihnachten, im Januar, aus Lützerath geräumt werden?

Aktive Menschen der ökumenischen Initiative DIE KIRCHE(N) IM DORF LASSEN feiern hier regelmäßig Gottesdienst und haben bereits angekündigt, dass sie in den drohenden letzten Tagen dieser Kapelle dort bis zum Ende ausharren wollen.

In alter Zeit sagte man den Eiben nach, sie besäßen die Macht, das Böse abzuwehren. Ob ihr Zauber auch in Lützerath wirkt?

 

Anselm Meyer-Antz / Die Kirche(n) im Dorf lassen

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Umwelt-Initiativen richten Büro- und Infozentrum in Lützerath ein

Erkelenz (Pressemitteilung „Alle Dörfer bleiben“). Heute haben mehrere Umweltverbände und Organisationen der Zivilgesellschaft Außenstellen ihrer Büros im Dorf Lützerath am Tagebau Garzweiler eröffnet. Der Kohlekonzern RWE will Lützerath abreißen, um die Kohle darunter zu verbrennen. Um 10 Uhr morgens bezogen Vertreter*innen der Verbände gemeinsam ihre neuen Räumlichkeiten im Hof von Eckardt Heukamp, der bis vor Kurzem noch erfolglos gegen seine Enteignung für den Tagebau geklagt hatte. Die Verbände setzen mit der Aktion zivilen Ungehorsams ein Zeichen für den Erhalt des Dorfes und gegen die Energiepolitik der Landesregierung NRW. An der Aktion sind insgesamt 11 Gruppen und Verbände beteiligt, unter anderem die Initiative „Die Kirche(n) im Dorf lassen“, Campact, Alle Dörfer Bleiben, das Umweltinstitut München und die Anti-Atom-Organisation .ausgestrahlt.

„Durch die Verlegung unseres Büros sagen wir klar: Lützerath ist ein Herzstück der Klimabewegung und die Zerstörung des Dorfes ist nicht ohne unseren Widerstand zu haben!“ erklärt Michael Schwarz für das Bündnis Alle Dörfer Bleiben.

Da das Gebäude offiziell bereits im Eigentum von RWE ist, handelt es sich bei der Eröffnung der Büros um einen Akt des zivilen Ungehorsams. Die NRW-Wirtschaftsministerin Neubaur und Bundeswirtschaftsminister Habeck (beide Grüne) hatten Anfang Oktober mit RWE vereinbart, dass das umkämpfte Lützerath für den Tagebau Garzweiler II weichen muss und der Kohleausstieg in NRW auf 2030 vorgezogen wird. Die Bundesregierung hat gestern im Kabinett die Umsetzung dieser Vereinbarung beschlossen. RWE will Lützerath nun diesen Winter abreißen lassen. Die an der Büro-Verlegung beteiligten Verbände kritisieren, dass durch die Verfeuerung der unter Lützerath liegenden Kohle Deutschlands Beitrag zur Einhaltung der 1,5°-Grenze unerreichbar wird.

Christoph Bautz, Geschäftsführer von Campact: “Der Beschluss eines beschleunigten Kohleausstiegs des Kabinetts kommt einem trojanischen Pferd gleich. Von außen betrachtet stellt sich RWE nun auch hinter das Ausstiegsdatum 2030. Schaut man jedoch in die Details der Vereinbarung, soll die jährliche Kohleverbrennung sogar bis dahin gesteigert werden. Eine Farce für den Klimaschutz. Was wir für einen wirksamen Kampf gegen den Klimawandel aber dringend benötigen, ist ein echter Kohleausstieg – ohne Hintertür. Dafür streiten wir in Lützerath.”

Lützerath wird derzeit von über 100 Klimaaktivist*innen bewohnt. Für den Fall eines Räumungsversuches haben über 10.000 Menschen öffentlich angekündigt, sich schützend vor das Dorf zu stellen – unter ihnen die grüne Bundestagsabgeordnete Kathrin Henneberger und die bekannte Klima-Aktivistin Luisa Neubauer. Für den 12.11. um 12 Uhr laden zahlreiche Gruppen zu einer großen Demonstration nach Lützerath ein. Vor Ort gibt es zudem jeden Sonntag um 12 Uhr Dorfspaziergänge, bei denen Interessierte sich über den Konflikt informieren können – eine Anmeldung ist nicht nötig.

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Eine Menschenkette vor Eckardt Heukamps Hof in Lützerath. Die Personen tragen Kisten in den Hof, auf denen die Namen der teilnehmenden Organisationen stehen.

Wir haben ein Kreuz aufgestellt – solidarische Stimmen gegen die Repression

Seit zwei Jahren sind christliche Aktivist:innen rund um den Braunkohle-Tagebau Garzweiler vor den Toren der NRW-Landeshauptstadt Düsseldorf aktiv. Unter dem Motto „Die Kirche(n) im Dorf lassen“ galt ihr Fokus zunächst den dortigen Kirchengebäuden, die vom Bistum an die Minengesellschaft RWE verkauft wurden und abgerissen werden sollten. Doch bald begannen sie, das Kreuz von den Gebäuden fort ganz nah an den Abgrund zu tragen, und stellten mit der gelben Farbe des Widerstands angestrichene Kreuze als weithin sichtbare Symbole vor den Baggern auf. Eine von ihnen wurde dafür jetzt wegen Hausfriedensbruchs angezeigt. „Warum nur sie?“, fragen sich ihre Mitstreiter:innen, die aus allen Lebensbereichen und Altersgruppen kommen. „Wir haben doch auch ein Kreuz aufgestellt. Auch wenn uns ganz unterschiedliche Wege zu diesem Kreuz geführt haben – hier stehen wir und können nicht anders!“

So erzählt der Prokurist Paul Boutmans: „Anfang 2017 las ich zufällig von einer Exkursion durch die sterbenden Dörfer am Tagebau. Treffpunkt Kuckum. Vorher nie gehört, klang interessant. Also bin ich hin. Ein Anwohner und ein Geograph führten eine kleine Gruppe zu Fuß durch die Dörfer Kuckum (noch kein Haus verlassen), Keyenberg (da waren schon leere Häuser), über die Felder und zurück. Diese eindrucksvolle Exkursion mit vielen Erklärungen (z.B. die Metzgerei am alten Standort Keyenberg: verliert über den Umsiedlungsprozess Kunden, dadurch weniger Umsatz, dadurch schlechtere Entschädigung als eigentlich korrekt, und am neuen Standort gelten die aktuellen Arbeitsplatzrichtlinien, da gibt`s keinen Bestandsschutz!) hat mich tatsächlich 14 Tage nicht schlafen lassen!!! Dieser schändliche Umgang mit den betroffenen Dorfbewohnern sollte ‚in meinem Namen‘, nämlich wegen des Gemeinwohls stattfinden. Das war für mich das rote Tuch und der Anstoß, dagegen aktiv zu werden: Nein, diese Enteignungen und diese Landvernichtung geschieht NICHT in MEINEM Namen! Ich bin katholisch getauft und seit Kindheit kenne ich es nicht anders, dass ich – wenn ich an einer Kirche vorbei komme – dort rein gehe, ein Kerzchen entzünde und ein ‚Ave Maria‘, oder ein ‚Vaterunser‘ spreche oder auch einfach nur ein paar Minuten innehalte. Leider ist das ja in den letzten Jahren in vielen Kirchen nicht mehr möglich. Um so wichtiger ist es mir, dieses Symbol der Auferstehung, das mich mein ganzes Leben begleitet und geprägt hat, auch und gerade in Situationen zu zeigen und zu tragen, die für mich existentiell wichtig sind. Damit kamen für mich der Ort der Zerstörung und das Kreuz zusammen.“

Der Förster und Diplomkaufmann Dr. Anselm Meyer-Antz arbeitet als Länderreferent beim bischöflichen Hilfswerk Misereor: „In Asien habe ich gesehen, wie Arme durch den menschengemachten Klimawandel noch ärmer und manchmal auch tot gemacht wurden. Als RWE den Hambacher Wald räumen ließ, um ihn zu roden, hat mir als Förster das Herz geblutet, seltsamerweise erst richtig, als ich sah, dass sie die Eichen noch nicht mal zur Holzverwertung schnitten, sondern einfach schredderten. Da konnte ich den Protest nicht mehr lassen. Als mein Bruder mir von dem bedrohten Örtchen Lützerath am Tagebau Garzweiler erzählte, war ich nicht mehr zu halten. Dort sangen Menschen an der Kante die Gesänge der Brüder von Taize, die mich sehr geprägt haben und mit denen ich bis heute befreundet bin. Ich bin Christ, gut ausgebildet, und zu mir war die Kirche immer sehr gut, auch wenn ich ihre weltlichen Strukturen wenig ernst nehme. Kirche als mystische Gemeinschaft hat mein Leben durch sechs Jahrzehnte besser gemacht. Der Tagebau ist vielfacher Mörder, wenn auch subtil. Ihm das Kreuz entgegen zu stellen, heißt seiner ungerechten Hinrichtungspraxis das Narrativ von der Überwindung des Todes entgegen zu stellen – die hoffnungsvollste Erzählung, die die Menschen kennen. Etwas ganz Besonderes, ist es übrigens, vor einer Aktion ein solches Kreuz in meditativer Ruhe zu schreinern und gelb zu machen.“

Die Rentnerin Irene Mörsch war früher Lehrerin an einer Kaufmännischen Berufschule: „Seit 2016 wurde mir immer mehr bewusst, welche nicht nur räumlichen Ausmaße der Braunkohleabbau im rheinischen Revier hat. Ich beteiligte mich an Spaziergängen und Protesten um den Tagebau Hambach und organisierte 2018 einen Pilgerweg mit dem Aachener Friedenskreuz dorthin. Nachdem der Hambacher Wald zumindest vor der Abholzung verschont war, wurde mir klar, dass um den Tagebau Garzweiler Dörfer, sprich Heimat von Menschen, und wertvollster Ackerboden für den schnellen Profit durch die umweltschädigende Braunkohleverstromung zerstört werden sollten. Also schloss ich mich denen an, die sagten: ‚Wald und Dörfer, beides muss gerettet werden‘. Als ehemalige Religionslehrerin und immer noch in der Kirche Aktive sehe ich das Kreuz als starkes, ermutigendes Zeichen der Hoffnung und der Zuversicht. Der Tod Jesu am Kreuz ist auf den ersten Blick ein Scheitern, aber seine Anhänger:innen fanden in diesem Zeichen den Mut, Seine Botschaft von Erlösung und Frieden weiterzutragen. Daher gehört das Kreuz an diesen Ort, es kann Hoffnung spenden und unterstützt uns im Einsatz gegen Umweltzerstörung und Mehrung von Profit Weniger, für eine Welt für alle.“

Die Stimme der Theologin Cornelia Senne erklingt oft bei den Gottesdiensten und Andachten der Initiative: „Für Klima-Gerechtigkeit engagiere ich mich zunächst einmal als Mensch und als Christin – und daneben bin ich Theologin. Das (aktive) Eintreten für die Bewahrung der Schöpfung und ein gutes Leben für alle Geschöpfe in Fülle ist für mich sowohl Gebot des Christ:innen-Seins als auch der Menschlichkeit. Seit Jahrzehnten bin ich (links)politisch aktiv, anfangs auch parteipolitisch, später dann eher aktivistisch. Soziale Gerechtigkeit, Ökologie und Ökonomie sind für mich aufs engste miteinander verknüpft. Mein Engagement führte ab 2016 zur Braunkohle, zum Hambacher Wald und – natürlich – nach Lützerath. Und bereits seit 2013 begleitet mich das Transparent mit einem Zitat von Papst Franziskus: ‚Diese Wirtschaft tötet‘. Mit der Initiative ‚Die Kirche(n) im Dorf lassen‘ halten wir Gottesdienste dort, wo es weh tut, an den Orten der Zerstörung unser aller Lebensgrundlagen durch profitgeleitete, neoliberale Wirtschaftsinteressen. Zu unserer religiös motivierten Praxis gehört auch das Aufstellen von Kreuzen an genau diesen Orten. Unsere gelben Kreuze verbinden das gelbe X des Widerstands (ursprünglich bei der Anti-Atom-Bewegung, aktuell bei den bedrohten Dörfern) sichtbar mit dem christlichen Kreuz als Symbol für Leid und Hoffnung. Unsere Gottesdienste sind allein durch die Orte, an denen sie stattfinden, in sich ein widerständiger Akt und häufig Aktionen zivilen Ungehorsams, nicht heimlich, sondern deutlich sichtbar durch die Aufstellung der gelben Kreuze. Unsere Aktionen, die immer ihren religiösen Charakter wahren, stehen in christlicher Tradition und berufen sich auf göttliche Gebote, auf die universalen Menschenrechte: Das Recht allen Lebens in Würde, getragen von gegenseitigem Respekt. Unsere Solidarität gehört allen leidenden, allen schwachen und bedrohten Geschöpfen – und all den Menschen, die sich für eine gerechtere Welt, für die Bewahrung der Schöpfung einsetzen.“

Barbara Orfeld, Diplom-Psychologin, und Martin Hankamer, Diplom-Betriebswirt: „Unser jeweils erster Kontakt mit Garzweiler liegt schon lange zurück, wir kannten uns da noch gar nicht, waren aber gleichermaßen erschüttert von der brutalen Naturzerstörung dort. Wenn man das einmal gesehen hat, lässt einen das nicht wieder los. Du schreist innerlich auf, es geht unter die Haut, du willst etwas dagegen tun. Wir sind beide seit dem Ausscheiden aus dem Berufsleben aktiv in der Amphibienrettung. Da fragst du dich irgendwann: Gut, ich habe jetzt hunderte Kröten, Frösche und Molche über die Straße geschleppt. Aber gerettet? Wie denn, wenn die Tümpel und Bäche schon im Frühsommer ausgetrocknet sind und die Amphibien entweder aufgrund von Flächenfraß ihre Habitate verlieren oder infolge des Insektensterbens verhungern? Uns wurde dann klar: Wir müssen mehr tun. Viel mehr. Und es geht längst nicht mehr nur um Kröten, um die Tier- und Pflanzenwelt – es geht um uns Menschen. Vor allem um die Menschen im globalen Süden, die jetzt schon unendlich unter der Klimakatastrophe leiden. Über FFF-Demos und Dorfspaziergänge sind wir schließlich mit ‚Die Kirche(n) im Dorf lassen‘ in Kontakt gekommen. Unser Kreuz soll über die lokale Bedeutung – Zerstörung der Dörfer und des Ackerlandes – und die Appelle an die Politik hinaus die Menschen christlichen Glaubens an ihre Verantwortung für die Schöpfung erinnern. Bei der überwältigenden Mehrheit der Menschen in Deutschland ist die Klimakatastrophe ‚angekommen‘; sie wollen, dass die Politik sie aufhält. Die Politik ignoriert jedoch die Mehrheit, knickt unter dem Druck derjenigen ein, die durch die aktuellen Krisen immer reicher werden. Da ist ziviler Ungehorsam der einzige Weg, dem Recht Geltung zu verschaffen. Quasi das Gebot der Stunde, denn wir haben keine Zeit zu verlieren, können nicht auf den ‚Marsch durch die Institutionen‘ setzen. Im Übrigen war Jesus auch kein angepasster, obrigkeitshöriger Mensch. Er war widerständig und ‚zivil ungehorsam‘ – unser Vorläufer und unser Vorbild.“

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Infos zur Kampagne „Wir haben ein Kreuz aufgestellt“ und das Plakat zum Download unter diesem Link.

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