Schlagwort: Mahnwache
Was bleibt? „Ich kann selber etwas bewegen!“
Es ist das vierte Wochenende im September. Nach dem Tod des Filmemachers Steffen Meyn ruhen die Räumungsarbeiten im Hambacher Wald. Der Himmel hat sich zugezogen; der Altweibersommer weicht dem Herbst. Einige Baumhausdörfer sind bereits komplett geräumt, andere bereiten sich auf den Belagerungszustand vor. Im „Kleingartenverein“ am südlichen Waldrand herrscht noch Alltag. Auch hier schaut die Polizei zwar hin und wieder vorbei, doch die Pressevertreter, die Aktivisten für Interviews suchen, lässt man ungehindert in das jüngste Waldbesetzerdorf – genau wie die vielen Tagesausflügler und Neugierigen, die etwas über das Leben im Wald erfahren möchten.
Mit zwei solchen Besuchern steht ein junger Mann, der sich Strobo nennt, unter einem Baum, von dem ein Kletterseil herunterhängt. Alle drei tragen Klettergurte; die der Besucher sind in der Siedlung ausgeborgt. Fachkundig und detailliert beschreibt Strobo verschiedene Methoden des Einstiegs in ein Kletterseil, ihre Vor- und Nachteile und Gefahren, und lässt seine beiden Schüler dann selbst probieren. Ein Kletterworkshop als Last-Minute-Maßnahme im Angesicht der bevorstehenden Räumung?
„Das ist überhaupt nicht mein Gedanke dabei“, sagt der Zweiundzwanzigjährige. „Wenn ich hier Menschen Klettern beibringe, geht es nicht darum, quasi auch sofort den Lohn dafür einzustreichen. Es geht uns ja hier nicht nur um den Hambacher Wald, sondern um eine Kette von Zielen. Das, was ich hier tue, ist ein Beitrag zu einem größeren Ziel. Und das beginnt damit, ihnen zu zeigen, was sie selber können.“
Gerade nach dem Unfall, der erst drei Tage her ist, betont Strobo, wie ernst er die Verantwortung nimmt, wenn er andere Menschen in die Höhe schickt. „Ich habe selber den Einstieg im Wald gelernt, mich dann aber draußen mit erfahrenen Kletterern getroffen und es mir in Ruhe beibringen lassen. Als ich dann in den Wald zurückgekommen bin, konnte ich es schon.“
Wer in diesem Moment als Laie inmitten des geschäftigen Treibens am Boden der Siedlung steht, versteht die Dialoge ringsum kaum zur Hälfte. „Kann mir mal jemand 6er Polyprop runterwerfen?“, erklingt es nebenan, wo noch an einer Plattform gebaut wird, während Strobo seinen Schülern zeigt, wie man einen Prusik knotet.
„Materialkunde nehmen wir hier sehr ernst, lernen aber auch viel voneinander im Zusammenleben. Was wir hier jetzt noch an Workshops geben, kann nur ein Hineinschnuppern sein. Ich kann den Leuten zeigen, wie sie sicher rauf und runter kommen, würde mich aber sehr schlecht damit fühlen, wenn sie mit diesem Anfängerwissen dann allein losziehen würden. Und wenn die Polizei kommt, will ich nicht auf einem Baumhaus sitzen mit einer Person, die nicht klettern kann. Trotzdem ist der Ansturm, den wir jetzt erleben, wunderschön und gibt uns die Gelegenheit, auch jetzt noch einmal unsere Prinzipien zu demonstrieren: Unser Wissen zu teilen, aber auch einzuschätzen, wie damit umgegangen wird. Im Wald ist jeder für sich selbst verantwortlich, trotzdem geben alle gegenseitig aufeinander acht und helfen sich.“
Zwei Tage später wird Strobos Baumhaus geräumt. NRW-Innenminister Herbert Reul wirft den Aktivisten vor, die Pause nach dem Tod ihres Freundes auszunutzen, um neue Strukturen zu schaffen. Steffen Meyns Eltern bitten in der Todesanzeige, „im Sinne von Steffen“ von Trauerkleidung abzusehen und für die Aktivisten im Hambacher Wald zu spenden.
Es ist das fünfte Wochenende im September. Die Sonne ist wieder da, doch auf der kleinen Wiese vor dem Aachener Polizeipräsidium weht ein kalter Wind. Hier steht seit dem 13. September der „GeSa Support“. Abseits des Medienrummels im Wald nimmt eine Gruppe von Freiwilligen rund um die Uhr die Müden, die Wütenden und die Traumatisierten in Empfang, die nach ihrer Ingewahrsamnahme im Hambacher Wald aus der Gefangenensammelstelle (GeSa) entlassen werden. Ein Pavillon, ein Dixiklo, eine Biertischgarnitur: „Die Polizei hat uns den Raum, auf dem wir uns bewegen dürfen, mit Sprühkreide eingegrenzt“, sagt Jan Willen, dessen Schicht gerade zu Ende geht. „Es ist ein Akt, diese ehrenamtliche 24-Stunden-Präsenz zu organisieren. Aber wir erleben auch eine unfassbare Welle der Solidarität aus der Bevölkerung. Wir bekommen personelle Unterstützung, zunächst aus Mönchengladbach und Köln, inzwischen aus dem ganzen Bundesgebiet. Menschen bringen uns Spiele und Decken vorbei, kochen und backen für uns oder nehmen Geschirr zum Spülen mit nach Hause; neulich hat das Hotel auf der anderen Straßenseite uns Kaffee gebracht.“
Schon seit Jahren verfolgt der 57jährige Verwaltungsangestellte das Geschehen im Wald. „Dort habe ich oft diese Hilflosigkeit empfunden: Ich bin zwar hier, ich kann aber nicht auf Bäume klettern und vor Ort helfen. Das kann ich jetzt an diesem Ort. Anfangs war das für mich sehr seltsam, hier zu stehen und mein Gesicht zu zeigen, weil ich mit vielen der Polizisten, die hier vorbeigehen, beruflich zu tun habe. Aber inzwischen ist da nur noch Klarheit. Ich weiß genau was ich mache. Ich bin Teil eines Netzwerks, in dem sich Menschen vom TH-Professoren bis zum Handwerker zusammengefunden haben. Wir alle erfahren, dass man sich Dingen nicht nur passiv, sondern aktiv entgegenstellen kann. Ich kann selber etwas bewegen.“
Bis zum 5. Oktober ist die Mahnwache vor dem Präsidium angemeldet. Ob der Hambacher Wald bis dahin wirklich frei von allen Aktivisten ist, kann niemand sagen. Jan Willen und seine Mitstreiter sind darauf eingestellt, auch noch länger zu bleiben: „Es ist so beeindruckend zu sehen, wie die Menschen, wenn sie entlassen werden, auf ihre Bezugsgruppen warten, bis auch der letzte draußen ist. Es sind alte Hasen darunter, für die Repression nichts Neues ist. Die jungen, die das zum ersten Mal erleben, sind oft sehr getroffen. Und für uns steht fest: Wenn sie dieses Gebäude verlassen, soll keiner von ihnen alleine sein.“
(Text & Foto: Barbara Schnell)
Wie die Menschen an der Mahnwache die Polizeipräsenz und Polizeigewalt erleben
Seit ein paar Tagen ist der Hambacher Forst zum gefährlichen Ort erklärt worden. Ohne Ankündigung. Ohne Markierung.
Gefährlich sei es. Wo genau, wie lange. Kein*e Polizist*in kann es uns sagen. Was bedeutet das? Auch das kann uns kein Mensch vor Ort sagen.
Die Polizei nimmt ohne Warnung von allen Menschen, die sich dem Wald auch nur nähern, Personalien auf. Die Polizei durchsucht uns am Körper. Wenn sie will, mehrmals am Tag. Autos werden angehalten und Eigentum willkürlich konfisziert. Menschen werden auf die Wache gefahren.
Was hier gefahren wird ist, eine Kriminalisierung von allem und jedem. Menschen sollen eingeschüchtert werden. Angst soll gemacht werden. Unterstützt bloß nicht den Hambacher Wald, sonst landet ihr noch in unseren Akten. Unterstützen heißt in diesem Fall, an einer angemeldeten Mahnwache teilzunehmen oder vom Waldbegehungsrecht Gebrauch zu machen.
Der ruppige Umgang einiger Polizist*innen rundet das ab. Was reden alle davon, dass friedlicher Protest natürlich in Ordnung sei. Vor Ort wird eine andere Strategie gefahren: Einschüchterungs- und Repressionsversuche sind das. Das Versammlungsrecht regelt, dass Teilnahme an Protest auch anonym möglich sein muss. Das ist so ein extrem wichtiger Pfeiler einer Demokratie. Was regen wir uns darüber auf, dass in autokratischen Staaten einfach Ausnahmezustände verhängt werden, damit die Staatsgewalt willkürlich durchgreifen kann? Vor unserer eigenen Haustür wird jetzt der gefährliche Ort deklariert.
Ich bin ausgelaugt und ehrlich gesagt gerade fix und fertig vom Gefühl der Hilflosigkeit, nachdem ich dieser Willkür mit Waffe und Schlagstock einen ganzen Tag gestern gegenüber gestanden habe. Genau das wollen sie erreichen. Aber sie werden uns und auch mich nicht klein kriegen, und genau deshalb werde ich jetzt gleich in den Zug steigen und in Köln mit vielen solidarischen wunderbaren Menschen tanzend für den Hambi demonstrieren bei „Bässe gegen Bagger“.
Und noch eines: WE WILL WIN! Oder wie der Polizeibeamte gestern über den Polizeifunk mitteilte: „Wir haben hier eine Person, die gerade auf den Gehweg mit Kreide ‚Mahnwache‘, einen Pfeil nach links, und den Satz ‚We will win‘ geschrieben hat“.
Dass wir gewinnen werden steht, jetzt wohl auch schon in den polizeilichen Akten!
(Danke, dass wir den Text hier verwenden dürfen! vh)
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