Pressemitteilung der MaWa Lützerath: Totenruhe in Immerath? Abgeschafft.

Eine Baufirma gräbt im Auftrag von RWE sterbliche Überreste aus dem alten Friedhof in Immerath. Die Menschen in der Region finden das Vorgehen schockierend. Die Landesregierung (CDU) beteuert immer wieder die Sozialverträglichkeit der Umsiedlung im Braunkohlerevier. Davon kann hier keine Rede sein. (se)

Zurzeit werden im Zuge der sogenannten „Endberäumung“ auf dem alten Immerather Friedhof alte oder offengelassene Gräber, die bisher nicht umgebettet wurden, bis zu einer Bestattungstiefe von 3m ausgeschachtet. Dabei werden durch die von RWE beauftragte Bauentsorgungsfirma Lücker sterbliche Überreste gesammelt und auf einer Sammelgrabfläche auf dem Friedhof Neu-Immerath bestattet. Menschen im Umsiedlungsgebiet sind entsetzt und empfinden die Arbeiten als Störung der Totenruhe.

Doch diese wurde in Immerath behördlich abgeschafft. Beim Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge scheint man darüber gar nicht besorgt zu sein. Auf Anfrage antwortet man:

„Nach Auskunft der RWE-Power entspricht dies der in den betroffenen Gemeinden üblichen Vorgehensweise.“

Etwa ein Drittel der Fläche des alten Friedhofs wurde bereits umgewälzt. Dabei wurden Knochen, Textilien und Gegenstände, u.a. ein Stahlhelm, mit einem Bagger ausgegraben. Entgegen der anderen Funde, wurde der Helm nicht in die speziellen Entsorgungsbehälter verbracht, sondern auf der Friedhofsmauer zur Seite gelegt. Nach Auskunft des LVR und der unteren Denkmalbehörde Erkelenz liegt bisher keine Anzeige dieses Fundes vor. Die Stadt Erkelenz antwortete auf Anfrage dazu:

„Nach § 15 Denkmalschutzgesetz NRW – Entdeckung von Bodendenkmälern hat derjenige, der in oder auf einem Grundstück ein Bodendenkmal entdeckt, dies der Gemeinde oder dem Landschaftsverband unverzüglich anzuzeigen. Die Gemeinde hat unverzüglich den Landschaftsverband zu benachrichtigen. Dieser unterrichtet die Obere Denkmalbehörde.“

Dies gelte auch für durch Archäologen bereits freigegebene Gräber. Entgegen den Behauptungen eines Artikels von RP-Online werden die derzeit stattfindenden Arbeiten nicht vor Ort durch das Friedhofsamt begleitet. Nach Auskunft der Stadt Erkelenz wurden die offiziellen Umbettungen 2016 abgeschlossen, und eine Betreuung bei der Endberäumung sei nicht vorgesehen.

Eine fachkundige Betreuung solcher Arbeiten wäre jedoch im Hinblick auf Transparenz dieses sensiblen Themas und den pietätvollen Umgang damit angebracht. Die Expertise würde zudem gewährleisten, dass Gräber aus dem 2. Weltkrieg identifiziert und registriert werden, und dass die Arbeit des DRK-Suchdienstes weiterhin fortgesetzt werden kann. Zudem würde so sichergestellt, dass außerplanmäßige Funde auch ordnungsgemäß den Behörden gemeldet würden.

Die Arbeiten in Immerath sind Teil der Vorbereitung des Tagebauvorfelds auf die Abtragung. Zeitgleich wird im benachbarten Lützerath der Abriss des Dorfes vorangetrieben. Die Arbeiten ruhen diese Woche, da sie nicht mit dem CDU Parteitag kollidieren sollen. Nächste Woche wird der Abriss des Dorfs fortgesetzt, in dem noch Menschen leben.

Seit dem Abriss der Landstraße (L277) im Juli 2020 entstand vor dem Dorf Lützerath eine Mahnwache. Die Menschen aus den bedrohten Dörfern und ein breites Bündnis von Unterstützer*innen aus der Klimagerechtigkeitsbewegung stellen sich gegen die Zerstörungswut des Energiekonzerns und fordern eine Einhaltung der 1,5 Grad Grenze. Zur Unterstützung der Aktivist*innen hat sich ein kreativer, bunter Protest unter dem Motto „Lützerath lebt!“ formiert, der sich kommende Woche erneut für den Erhalt Lützeraths einsetzen wird.

Kontakt:

Für weitere Informationen verfolgen Sie bitte unseren Twitterkanal @MaWaLuetzerath.

Info-Telefon der Mahnwache Lützerath: 015201339091

Website: mahnwache-luetzerath.org

Brandanschlag auf die Mahnwache am Hambacher Wald: Stand der Dinge & Soli-Aufruf

Liebe Hambi-Unterstützer*innen,
.
Wir hatten uns ein friedliches Weihnachtsfest gewünscht, wollten einmal Pause vom Ringen im Konflikt um die Kohle machen, und dann das … Heute am frühen Morgen wurde vermutlich durch einen Brandanschlag das große Zelt der Mahnwache und der davor gelagerte Pavillon zerstört. Ich war gegen 9 Uhr vor Ort und habe dort die Kriminalpolizei zufällig getroffen. Mittlerweile wurden mindestens sieben Molotowcocktails gefunden – es scheint also der nächste Brandanschlag auf die Strukturen der Hambi-Bewegung gewesen zu sein.
Wir sind unsagbar froh, dass kein Mensch verletzt wurde. Die Person, die in der Nacht die Mahnwache besetzt hielt, war im weiter abseits stehenden Wohnwagen, hatte aber die Explosionen gehört, das Feuer gesehen und sofort die Feuerwehr gerufen. Herzlichen Dank für schnelles und umsichtiges Handeln.
Wie durch ein Wunder blieb übrigens die Gedenkstätte für Steffen Meyn nahezu unversehrt.
Was jetzt dringend benötigt wird: Ein neues, stabiles und rundum verschließbares Zelt, wo Spenden, wie Kleidung, Decken etc gesammelt und sortiert werden können. Bänke und Tische (Bierzeltgarnitur) und vor allem Geld, denn nach der Begutachtung der Brandursache werden hohe Kosten für die Entsorgung anfallen.
.
Spenden bitte an:
Gemeinnütziges Konto:
IBAN DE03 3705 0299 0147 2708 03
BIC COKSDE33XXX
Kreissparkasse Köln
Kontoinhaber: Initiative Buirer für Buir
Stichwort: Mahnwache
Spendenquittung möglich
.
Dringende Bitte: Wer die Menschen vor Ort besuchen möchte – BRANDORT BITTE NICHT BETRETEN – wir wollen, dass die Brandursache geklärt wird und ein entsprechendes Gutachten erstellt wird.
.
Herzlichen Dank allen Unterstützer*innen für ihre Solidarität – und ja: Ein friedvolles Restfest und vor allem einen friedvollen Übergang in das neue Jahr!
.
Andreas/Buirer für Buir
.
.
(Fotos: Ron Weimann. Danke!)
.
.
.

SOS aus Lützerath!

Liebe Menschen aus der Klimagerechtigkeitsbewegung!

Wir schreiben Euch aus Lützerath, wo wir seid 3 Monaten – auch mit vielen von Euch – zusammen gekämpft, geweint, gelacht und uns für das gute Leben für Alle stark gemacht haben.
Nun, 1 Tag nach dem Beginn des Lockdowns, hat RWE hunderte Bäume gefällt und ist in einem Wahnsinnstempo vorgerückt:
Gestern wurde die Allee an der L277 gerodet, heute wurden wir überrumpelt und es ist gefühlt schon halb Lützerath abgeholzt.

(Video von heute aus Lützi: https://twitter.com/MaWaLuetzerath/status/1324057521208889348, das (fast veraltete) Video zu Tag X hier: https://twitter.com/AlleDoerfer/status/1322883253834047490 )

RWE steht somit quasi direkt vor unserer Tür, wo wir in den letzten Monaten solidarische Strukturen, einzigartige Netzwerke und innige Freundinnenschaften entstehen haben lassen. Wenn es in dem Tempo weitergeht, wird Lützerath zum Geisterdorf, lange bevor die Bagger kommen.
In den letzten Tagen waren zwar einige Leute hier, aber wir sind viel zu wenige: Besonders Menschen, die bereits Aktions-Erfahrungen haben, würden uns extrem helfen, am besten natürlich, wenn sie direkt als Bezugsgruppen anreisen. Auch niedrigere Aktionslevel und Einzelpersonen sind aber sehr herzlich willkommen!
Seid spontan, packt Euren Rucksack, und kommt gerne schon morgen, oder in den nächsten Tagen vorbei, wenn ihr es heute nicht mehr schafft 😉

Versorgungsstrukturen sind da – bringt einfach Isomatte und Schlafsack & warme Klamotten mit. Wir sind viel draußen, dezentral und haben ein Corona-Konzept.
Wir brauchen jetzt dringend Unterstützung – jede weitere Hand & jede Stunde macht einen grossen Unterschied. Heute ist es uns ein wenig gelungen, die Zerstörung zu verlangsamen – aber morgen und übermorgen soll es weiter gehen. Das wollen wir unbedingt verhindern.
Der jetzige Kampf um Lützerath ist ein starkes Symbol für die anderen Dörfer in der Region und dafür, dass die Kohle ab sofort im Boden bleiben muss.Bitte lasst uns, Lützerath, seine Bäume und die Mahnwache nicht im Stich!Für Fragen und/oder, wenn ihr Bescheid sagen wollt, dass; wann und mit wievielen ihr kommt, ruft das Mahnwachenhandy an: 015201339091
Alle Dörfer bleiben !
Alle Bäume bleiben !
Wir bleiben !

Was bleibt? „Ich kann selber etwas bewegen!“

Es ist das vierte Wochenende im September. Nach dem Tod des Filmemachers Steffen Meyn ruhen die Räumungsarbeiten im Hambacher Wald. Der Himmel hat sich zugezogen; der Altweibersommer weicht dem Herbst. Einige Baumhausdörfer sind bereits komplett geräumt, andere bereiten sich auf den Belagerungszustand vor. Im „Kleingartenverein“ am südlichen Waldrand herrscht noch Alltag. Auch hier schaut die Polizei zwar hin und wieder vorbei, doch die Pressevertreter, die Aktivisten für Interviews suchen, lässt man ungehindert in das jüngste Waldbesetzerdorf – genau wie die vielen Tagesausflügler und Neugierigen, die etwas über das Leben im Wald erfahren möchten.

Mit zwei solchen Besuchern steht ein junger Mann, der sich Strobo nennt, unter einem Baum, von dem ein Kletterseil herunterhängt. Alle drei tragen Klettergurte; die der Besucher sind in der Siedlung ausgeborgt. Fachkundig und detailliert beschreibt Strobo verschiedene Methoden des Einstiegs in ein Kletterseil, ihre Vor- und Nachteile und Gefahren, und lässt seine beiden Schüler dann selbst probieren. Ein Kletterworkshop als Last-Minute-Maßnahme im Angesicht der bevorstehenden Räumung?

„Das ist überhaupt nicht mein Gedanke dabei“, sagt der Zweiundzwanzigjährige. „Wenn ich hier Menschen Klettern beibringe, geht es nicht darum, quasi auch sofort den Lohn dafür einzustreichen. Es geht uns ja hier nicht nur um den Hambacher Wald, sondern um eine Kette von Zielen. Das, was ich hier tue, ist ein Beitrag zu einem größeren Ziel. Und das beginnt damit, ihnen zu zeigen, was sie selber können.“

Gerade nach dem Unfall, der erst drei Tage her ist, betont Strobo, wie ernst er die Verantwortung nimmt, wenn er andere Menschen in die Höhe schickt. „Ich habe selber den Einstieg im Wald gelernt, mich dann aber draußen mit erfahrenen Kletterern getroffen und es mir in Ruhe beibringen lassen. Als ich dann in den Wald zurückgekommen bin, konnte ich es schon.“

Wer in diesem Moment als Laie inmitten des geschäftigen Treibens am Boden der Siedlung steht, versteht die Dialoge ringsum kaum zur Hälfte. „Kann mir mal jemand 6er Polyprop runterwerfen?“, erklingt es nebenan, wo noch an einer Plattform gebaut wird, während Strobo seinen Schülern zeigt, wie man einen Prusik knotet.

„Materialkunde nehmen wir hier sehr ernst, lernen aber auch viel voneinander im Zusammenleben. Was wir hier jetzt noch an Workshops geben, kann nur ein Hineinschnuppern sein. Ich kann den Leuten zeigen, wie sie sicher rauf und runter kommen, würde mich aber sehr schlecht damit fühlen, wenn sie mit diesem Anfängerwissen dann allein losziehen würden. Und wenn die Polizei kommt, will ich nicht auf einem Baumhaus sitzen mit einer Person, die nicht klettern kann. Trotzdem ist der Ansturm, den wir jetzt erleben, wunderschön und gibt uns die Gelegenheit, auch jetzt noch einmal unsere Prinzipien zu demonstrieren: Unser Wissen zu teilen, aber auch einzuschätzen, wie damit umgegangen wird. Im Wald ist jeder für sich selbst verantwortlich, trotzdem geben alle gegenseitig aufeinander acht und helfen sich.“

Zwei Tage später wird Strobos Baumhaus geräumt. NRW-Innenminister Herbert Reul wirft den Aktivisten vor, die Pause nach dem Tod ihres Freundes auszunutzen, um neue Strukturen zu schaffen. Steffen Meyns Eltern bitten in der Todesanzeige, „im Sinne von Steffen“ von Trauerkleidung abzusehen und für die Aktivisten im Hambacher Wald zu spenden.

Es ist das fünfte Wochenende im September. Die Sonne ist wieder da, doch auf der kleinen Wiese vor dem Aachener Polizeipräsidium weht ein kalter Wind. Hier steht seit dem 13. September der „GeSa Support“. Abseits des Medienrummels im Wald nimmt eine Gruppe von Freiwilligen rund um die Uhr die Müden, die Wütenden und die Traumatisierten in Empfang, die nach ihrer Ingewahrsamnahme im Hambacher Wald aus der Gefangenensammelstelle (GeSa) entlassen werden. Ein Pavillon, ein Dixiklo, eine Biertischgarnitur: „Die Polizei hat uns den Raum, auf dem wir uns bewegen dürfen, mit Sprühkreide eingegrenzt“, sagt Jan Willen, dessen Schicht gerade zu Ende geht. „Es ist ein Akt, diese ehrenamtliche 24-Stunden-Präsenz zu organisieren. Aber wir erleben auch eine unfassbare Welle der Solidarität aus der Bevölkerung. Wir bekommen personelle Unterstützung, zunächst aus Mönchengladbach und Köln, inzwischen aus dem ganzen Bundesgebiet. Menschen bringen uns Spiele und Decken vorbei, kochen und backen für uns oder nehmen Geschirr zum Spülen mit nach Hause; neulich hat das Hotel auf der anderen Straßenseite uns Kaffee gebracht.“

Schon seit Jahren verfolgt der 57jährige Verwaltungsangestellte das Geschehen im Wald. „Dort habe ich oft diese Hilflosigkeit empfunden: Ich bin zwar hier, ich kann aber nicht auf Bäume klettern und vor Ort helfen. Das kann ich jetzt an diesem Ort. Anfangs war das für mich sehr seltsam, hier zu stehen und mein Gesicht zu zeigen, weil ich mit vielen der Polizisten, die hier vorbeigehen, beruflich zu tun habe. Aber inzwischen ist da nur noch Klarheit. Ich weiß genau was ich mache. Ich bin Teil eines Netzwerks, in dem sich Menschen vom TH-Professoren bis zum Handwerker zusammengefunden haben. Wir alle erfahren, dass man sich Dingen nicht nur passiv, sondern aktiv entgegenstellen kann. Ich kann selber etwas bewegen.“

Bis zum 5. Oktober ist die Mahnwache vor dem Präsidium angemeldet. Ob der Hambacher Wald bis dahin wirklich frei von allen Aktivisten ist, kann niemand sagen. Jan Willen und seine Mitstreiter sind darauf eingestellt, auch noch länger zu bleiben: „Es ist so beeindruckend zu sehen, wie die Menschen, wenn sie entlassen werden, auf ihre Bezugsgruppen warten, bis auch der letzte draußen ist. Es sind alte Hasen darunter, für die Repression nichts Neues ist. Die jungen, die das zum ersten Mal erleben, sind oft sehr getroffen. Und für uns steht fest: Wenn sie dieses Gebäude verlassen, soll keiner von ihnen alleine sein.“

(Text & Foto: Barbara Schnell)