„Engel auf den Feldern“ – unser Lützerath-Buch ist da!

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„Für mich waren Engel Metaphern für die besseren Menschen, die jeder in sich trägt und die wir gerne wären, wenn wir nicht immer vom Weg abkämen, und auf eine gewisse Art sind Engel auch die Kinder, die wir in uns behalten haben.“
(Wim Wenders, Regisseur „Der Himmel über Berlin“)

Am 22. Juli 2020 blockierte eine Gruppe junger Aktivist:innen den Abtransport der Trümmer einer von RWE abgerissenen Landstraße am Braunkohletagebau Garzweiler. Um das Geschehen in sicherem, aber auch sichtbarem Abstand beobachten zu können, meldeten Menschen vor dem Örtchen Lützerath eine Mahnwache an. Zwei Campingstühle, ein Sonnenschirm, so fing an, was im Lauf der nächsten zweieinhalb Jahre zu einem komplett besetzten Dorf heranwuchs, in dem zivilgesellschaftlicher und aktivistischer Widerstand gemeinsame Wege fanden.
Die Krefelder Autorin und Fotografin Barbara Schnell begleitete die Utopie Lützerath vom ersten bis zum letzten Tag mit der Kamera und berichtete in der Frankfurter Rundschau darüber.
Ein Jahr nach der Räumung und Zerstörung des Ortes kam ihr die Idee, der zunehmenden Kriminalisierung von Menschen aus der Klimagerechtigkeitsbewegung das Bild der „Engel auf den Feldern“ entgegenzusetzen. Inspiriert wurde sie durch einen Aktivisten, der am Ewigen Licht der dem Bagger geweihten Pfarrkirche von Keyenberg eine Kerze entzündete und sie über nächtliche Felder nach Lützerath trug.
Auf 232 Seiten mit über 400 Fotos gestaltete Illustrator:in Mica Jacobs ein „Lützi-Alphabet“ mit Texten von „A wie Anfang“ bis „Z wie Zusammen“; Aktivist:innen steuerten (selbst)kritische Texte zu „B wie Barriere“ oder „V wie Versorgungssicherheit“ bei und stellten Gedichte und Theaterstücke zur Verfügung; ein Kapitel über „C wie Corona“ fehlt genau so wenig wie ein Beitrag über „K wie Kompostklos“ und die, die sie benutzbar hielten.
Es entstand ein Buch über die Vielfalt – und die Unvollkommenheit – des Widerstands in Lützerath, der bis heute weit über das Rheinische Revier hin leuchtet.

„Die Dimension, die der Engel bewohnt, ist die Utopie …“
(Thomas Palzer, Autor, im Deutschlandfunk)
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Hier eine kleine Leseprobe: Engel auf den Feldern Corona klein
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Wir werden das Buch im Herbst auf einigen Veranstaltungen vorstellen, wo Ihr es auch erwerben könnt. Infos dazu findet Ihr hier unter „Termine“ im Kalender.

Ihr könnt es auch bestellen. Schickt uns dazu eine Mail mit Eurer Bestellung und Eurer Adresse an info[at]verheizte-heimat.de – wir mailen Euch dann unsere Bankverbindung. Das Buch kostet 30 Euro, die (nach Abzug der Druckkosten, ächz!) in die Finanzierung der „Akte X“-Dokumentation auf dieser Website fließen. Die Versandkosten betragen 3,50 Euro. Natürlich bekommt Ihr eine Rechnung.
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Das Rauschen der Pappeln von Lützerath

(zum 4. Geburtstag der Mahnwache Lützerath)

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Ich saß auf der Wiese vor dem Zirkuszelt.

Und ich fing an, den Pappeln von Lützerath zuzuhören.

Du kannst hören mit den Ohren und dabei nichts verstehen.

Du kannst hören mit deinem ganzen Körper und dabei Neues spüren.

Du kannst hören mit allem, was du bist, und dabei spüren,

dass alles, was du bist, verbunden ist, mit allem, was du hörst.

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Ich höre das Rauschen der Pappeln von Lützerath.

Sie singen ein Lied von Leben und Widerstand.

Im Rauschen der Bäume sehe ich

den letzten Bauern von Lützerath,

wie er spielt als Kind

auf den Wiesen

und zwischen den Heuballen

auf dem Hof seiner Großeltern.

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Das Lied erzählt von den Tagen,

als das Dorf noch voll Leben

und die Kohlebagger in weiter Ferne waren.

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Damals lag viel Land zwischen Kohlebaggern und diesem Dorf.

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Und noch viel Zeit sollte ins Land gehen …

Doch mit der Zeit ging auch das Land.

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Und mit dem Land gingen auch die Leute,

doch einer blieb …

und andere kamen.

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Jetzt stehen die Kohlebagger vor den Toren von Lützerath.

In das Rauschen der Bäume mischt sich das Knarzen der Bagger.

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Ihr Lied ist kein Gesang,

Kälte und Zerstörung ist ihre Melodie,

Acker für Acker,

Schaufel für Schaufel,

Kohle für Kohle

kommen sie näher …

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Ich höre das Rauschen der Pappeln von Lützerath.

In ihren Gesang mischt sich das Rauschen des Meeres.

Schwapp – Schwapp – Schwapp.

Ganz harmlos schlägt es gegen die Inseln im Pazifik.

Schaufel für Schaufel

steigt das Wasser höher und höher.

Kohle für Kohle

verschwindet ein Stück Insel im Pazifik.

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Doch im Rauschen des Meeres klingt noch mehr.

Im Schoß des Meeres wurde eine Schnecke geformt.

Wie unsere Bewegung ist sie langsam,

aber wer ihr Haus zum Singen bringt,

kann den Gesang der Solidarität hören.

Sie ruft alle zusammen, die für das Leben kämpfen.

In ihr liegt die Stimme der Pacific Climate Warriors, die sagen:

„We are not drowning, we are fighting“.

In ihr klingt die Stimme der Wasserschützer*innen, die sagen:

„Water ist life“.

In ihr liegt die Entschlossenheit der Zapatistas, die sagen:

„Ya Basta“.

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Ich höre das Rauschen der Pappeln von Lützerath.

In ihrem Gesang mischt sich die Stimme des Widerstands.

Ich höre uns singen. Als wir 2015 das erste Mal mit Ende Gelände von Lützerath aus loszogen,

um die Bagger, die das Leben zerstören, zu stoppen.

Im Rauschen der Bäume höre ich uns das erste Mal singen: „POWER!“

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Und als wir die Landstraße L277 entlang liefen, antworteten hunderte darauf: „POWER!“

Wir sangen „POWER TO THE PEOPLE!“

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Und tausende antworteten die kommenden Jahre „POWER TO THE PEOPLE!“

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Und mit dem Durchschieben der Polizeikette unter einer Autobahnbrücke

kam ein weiterer Durchbruch einer Bewegung für Klimagerechtigkeit.

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Ich höre das Rauschen der Pappeln von Lützerath.

Im süßen Geruch ihrer Knospen liegt noch die Wärme der Freundschaften, die unter ihren Ästen gewachsen, aufgeblüht, zerbrochen und neu gewachsen sind.

Die Reihe von Pappeln plappert von Verbündeten, die gemeinsam aus der Reihe tanzen.

Sie erzählen vom Murmeln und Tuscheln auf Klimacamps.

Sie spüren, wie Lützi lebt, zum Leben erwacht.

Sie schwärmen vom Kaffee der Mahnwache.

Sie zählen, wie häufig ein Dorfspaziergang ein Dorf umkreisen kann.

Sie wollen die Kirche im Dorf lassen oder zumindest ihre Eibenkapelle.

Sie ahnen, was Selbstermächtigung von Schwarzen, Indigenen und People of Colour bedeutet.

Sie lachen, wenn sie Aale über Land gehen sehen.

Sie tanzen im Wind, weil Kultur ohne Kohle schöner klingt.

Sie wissen, dass Alle Dörfer bleiben müssen, weltweit.

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Ich höre das Rauschen der Pappeln von Lützerath

Sie haben all den Trubel gesehen,

der um sie gemacht wurde.

Diese zerbrechlichen Riesen haben den Stürmen der Klimakrise getrotzt,

zumindest die meisten,

und dennoch sind sie gebrochen worden.

All unsere Stärke konnte ihre Zerbrechlichkeit nicht schützen

vor einer Wirtschaft, in der der Gesang der Bäume und Menschen nichts zählt.

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Ich höre kein Rauschen mehr der Pappeln von Lützerath

Ihr Lied ist verstummt.

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Doch leise, leise,

ich höre noch etwas …

Ein Knistern, ein Knacken

wie von einem Samen,

der durch die Erde dringt.

Da ist es,

erst zart und dann laut.

Ein Lied von der Schönheit des Lebens.

Ein Lied von der Zärtlichkeit der Klimagerechtigkeit.

Ein Traum von einem guten Leben mit allen,

der Samen für Samen,

Zeile für Zeile

in uns anschwillt und wächst

zu einem großen Raunen

und einem tiefen Rauschen.

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Ich höre das Rauschen des Widerstands von Lützerath

Er pappelt und singt ein Lied von einer besseren Welt,

in der keine Pappel mehr der Kohle zum Opfer fällt.

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(Danke an Wilm von ausgeco2hlt)

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Vom Zauber der Eiben und der Geschichte der Eibenkapelle

Werden auch Maria und das Jesuskind aus Lützerath vertrieben werden?

Es gibt ein kleines ökumenisches Gotteshaus in Lützerath, genauso improvisiert und fragil wie manches von den Strukturen der Aktivisti, die in Lützerath von Neuem versuchen, was an den zweitausend Jahre alten Lebensentwurf der Apostelgeschichte erinnert: Alle aber, die Vertrauen gefasst hatten, waren zusammen und teilten alles, was sie hatten. Sie verkauften ihren Besitz und ihr Vermögen und verteilten den Erlös an alle, je nachdem jemand Not litt.

Die fünfeckige Einfassung direkt am Ortseingang wird seit ihrer Wiederentdeckung im Sommer 2021 „Eibenkapelle“ genannt. Alte Karten zeigen an dieser Stelle ein kleines, als Gotteshaus gekennzeichnetes Gebäude. In den 1850er Jahren wurde hier ein Wegekreuz aufgestellt. Die Vorgänger des inzwischen vertriebenen Bauern Eckhardt Heukamp haben das Grundstück der Kirche geschenkt. Bis heute gehört es zum verbliebenen Fonds der aufgehobenen und abgebaggerten Pfarre Immerath. Der verantwortliche zentrale Pfarrer in Erkelenz weigert sich, den Nutzungsvertrag mit dem Energiegiganten RWE Power AG zu kündigen.

Die Eibenkapelle hat ihren Namen von einem Kranz von Eiben, die wie schützend rings um die Einzäunung wachsen. Die alten Bäume wölben sich wie ein Dach über dem gemauerten Fünfeck und schaffen einen Eindruck von Geborgenheit und Bewohntheit – trotz der Schaufelradbagger, die sich in etwa zweihundert Metern Entfernung Tag und Nacht drehen und die Zerstörung des gemeinsamen Hauses Erde befeuern.

Der lange verlassene Ort wird mittlerweile von den unterschiedlichsten Menschen gepflegt und ist mit Zeugnissen ihres persönlichen Glaubens geschmückt: Neben einer kleinen Buddhastatue aus dem indischen Patna stehen hier ein Franziskus aus Belo Horizonte in Brasilien, ein Foto der von Bodenspekulanten ermordeten brasilianischen Ordensfrau Dorothy Stang, eine Dreifaltigkeitsikone, eine Marienikone und eine von einem Menschen im Revier geschaffene moderne Ikone, die vom „Hambiretter“ Arnold von Arnoldsweiler erzählt. Beim vorläufig letzten Gottesdienst in der Keyenberger Kirche entzündete ein jugendlicher Aktivist am ersten Advent 2021 ein Licht an deren verlöschendem ewigen Licht und brachte es in die Eibenkapelle, wo es seitdem brennt.

Am 1.8.2021 kam hier der ca. 420 km lange Kreuzweg für die Schöpfung mit einem gelben Kreuz an. Das Kreuz wurde zu Fuß von Gorleben bis zu diesem Standpunkt im Rheinischen Braunkohlerevier getragen. Als der protestantische Bischof von Hannover von der Wiederentdeckung der kleinen Kapelle erfuhr, sprach er von einem „Fingerzeig“ Gottes.

Doch NRW-Innenminister Reul zieht wieder in den Kampf für CO2-Emmissionen, obwohl der Rechtstreit um den von ihm verursachten, bis dato teuersten Polizeieinsatz in NRWs Geschichte noch nicht ausgestanden ist. Das Verwaltungsgericht Köln betrachtet die Räumung des Hambacher Waldes als rechtswidrig; mit brachialer Verwaltungsgewalt musste der Minister die Stadtverwaltung und den Rat Kerpen zwingen, gegen dieses Urteil Berufung einzulegen. Die grüne Vorarbeit von Minister Habeck und Ministerin Neubaur nutzte ihm zunächst nichts, sein eigener Parteifreund, der Erkelenzer Bürgermeister Muckel, weigerte sich, die Polizei Aachen für die Räumung Lützeraths anzufordern, bis der Heinsberger Landrat Pusch die Räumungsverfügung schließlich unterzeichnete.

In Aachen ist die Polizei dennoch längst auf den Einsatz vorbereitet. Und so bleibt bei allen, denen die Zukunft der Schöpfung am Herzen liegt, die bange Frage: Wird das Jesuskind (auf der Muttergottesikone) nach Weihnachten, im Januar, aus Lützerath geräumt werden?

Aktive Menschen der ökumenischen Initiative DIE KIRCHE(N) IM DORF LASSEN feiern hier regelmäßig Gottesdienst und haben bereits angekündigt, dass sie in den drohenden letzten Tagen dieser Kapelle dort bis zum Ende ausharren wollen.

In alter Zeit sagte man den Eiben nach, sie besäßen die Macht, das Böse abzuwehren. Ob ihr Zauber auch in Lützerath wirkt?

 

Anselm Meyer-Antz / Die Kirche(n) im Dorf lassen

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