Begleittext zur Großplakat-Aktion im Rheinischen Revier

In einer Welt, in der nur Kohle zählt, hat die Zukunft keinen Platz: Eine Einführung in das Thema Braunkohleabbau im Rheinland

Vor vierzig Jahren entstand eine vom damaligen US-Amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter in Auftrag gegebene Studie zum Zustand der Erde. Es war beabsichtigt, eine Datengrundlage für die in der Zukunft zu treffenden politischen Entscheidungen zu gewinnen in Bezug auf die Bevölkerungsentwicklung, die Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen und die zu erwartenden Folgen für die Umwelt. Die Schlussfolgerungen dieser nach drei Jahren im Oktober 1980 vorgelegten Studie mit dem Titel „Global 2000 – Der Bericht an den Präsidenten“ enden mit der Warnung: „Die vorliegenden Informationen lassen keinen Zweifel darüber, dass die Welt … in den unmittelbar bevorstehenden Jahrzehnten mit ungeheuer dringlichen Problemen von großer Komplexität zu kämpfen haben wird. Prompte und mutige Wandlungen in der Politik auf der ganzen Welt sind erforderlich, um diese Probleme zu umgehen oder zu reduzieren, bevor sie sich nicht mehr bewältigen lassen. Wirkungsvolles Handeln erfordert lange Anlaufzeiten. Zögert man die Entscheidungen so lange hinaus, bis sich die Probleme verschlimmert haben, so wird sich der Spielraum für wirkungsvolles Handeln drastisch verringern.“

Die von Präsident Jimmy Carter schließlich veranlassten ersten Maßnahmen wurden von seinem Nachfolger Ronald Reagan bereits kurze Zeit später zu Gunsten einer ausschließlich an den Interessen der amerikanischen Wirtschaft orientierten Politik aufgehoben.

Es vergingen zwölf Jahre bis 1992 die erste weltweite Klimakonferenz in Rio de Janeiro einberufen wurde. Die Notwendigkeit zur Reduzierung der CO2-Emissionen wurde zwar erkannt, führte jedoch über viele Jahre nicht zu einer tatsächlichen Regulierung. Weitere 23 Jahre später unterzeichneten in der Folge der Pariser Klimakonferenz mehr als 190 teilnehmende Staaten ein Maßnahmenpaket, das zumindest als Einstieg in eine weltweite Umweltpolitik verstanden werden kann, um die sich deutlich abzeichnende Klimaveränderung begrenzen zu können.

Unmittelbar nach ihrem mühsamen Zustandekommen hat die amtierende Bundesregierung als Mitunterzeichner dieser Pariser Klimavereinbarung die für das Jahr 2020 festgelegte Reduzierung des deutschen CO2-Ausstoßes aufgegeben. Und die Ende September von der Großen Koalition als Klimapaket präsentierten Maßnahmen zeigen einmal mehr, dass eine tatsächliche Bereitschaft zur Umsetzung wirkungsvoller Maßnahmen für den Klimaschutz kaum vorhanden ist. Wie zur Bestätigung reisten die Bundeskanzlerin und die Verteidigungsministerin jeweils in eigenen Flugzeugen der Luftwaffe zu ihren Terminen in die USA. Gleichzeitig wird nun ein milliardenschweres Hilfsprogramm zur Rettung der deutschen Wälder in Aussicht gestellt, mit dessen Hilfe 180.000 Hektar geschädigter Waldflächen aufgeforstet werden sollen. Im vergangenen Jahr erstritten die Landwirte Bundeshilfen in ähnlicher Größenordnung als Ausgleich für die ihnen durch die lang anhaltende Trockenheit entstandenen Ernteausfälle. Vermutlich wird man sich auch im nächsten Jahr gezwungen sehen, mit viel Geld Schäden auszubessern. Vielleicht wird man dann nach schweren Herbststürmen für die Rettung der ostfriesischen Inseln ein Milliardenprogramm zum Ausbau der Küstenbefestigungen fordern.

Wir werden nicht an der Erkenntnis vorbei kommen, dass heute unterlassener Umweltschutz ein Vielfaches der dafür erforderlichen Mittel notwendig machen wird, um die unweigerlich daraus entstehenden Folgeschäden in der Zukunft abzumildern.

Wenn wir uns in Deutschland über den Klimawandel Gedanken machen, kommen wir zwangsläufig an der Problematik der fortdauernden Energieerzeugung aus Braunkohle nicht vorbei.

Die Geschichte des Braunkohletagebaus

Betrachten wir zunächst einmal die historische Entwicklung speziell hier im rheinischen Braunkohlerevier. Wenn wir einmal davon absehen, dass schon die Römer oberflächennahe Kohlefunde kannten und als „Brennende Steine“ bezeichneten, begann die Nutzung der Braunkohle zum Ende des Mittelalters – ursprünglich u. a. als Grundstoff für die Farbherstellung und für die Auslaugung von Alaun. Die im Süden, etwa im Raum Brühl /Frechen nahe der Bodenoberfläche lagernden Kohleflöze mussten teilweise als Abraum beseitigt werden, um an die für die Keramikherstellung benötigten darunter liegenden Tonschichten zu gelangen. Zum Ende des 17. Jahrhunderts stellte man schließlich fest, dass diese torfähnliche Schicht brennbar war, nachdem sie getrocknet wurde. Die Grundherren der Kohlelagerstätten machten sich in der Folgezeit diese neue Verwendungsmöglichkeit zu Nutze und ließen die Braunkohle von Kleinbauern und Tagelöhnern in Handarbeit abgraben. Das damals als „Turf“ benannte faserige Material wurde in topfähnliche Formen gepresst und an der Luft getrocknet. Die auf diese Weise entstandenen Klumpen (auch Klütten genannt) dienten den Menschen in der nahen Umgebung als billiges Heizmittel. Schließlich bestand zu jener Zeit bereits eine erhebliche Brennstoffknappheit, da ein großer Teil der Wälder in den zurückliegenden Jahrhunderten schon für die Verwendung als Bau- und Heizmaterial abgeholzt worden war. Der in dieser Weise betriebene Kohleabbau erlangte jedoch lange Zeit keine überregionale Bedeutung.

Mit dem Ausbau des Eisenbahnnetzes in Deutschland wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch am linken Niederrhein Steinkohle aus dem Ruhrgebiet als billiges Brennmaterial verfügbar. Die Verbrennung von Braunkohle verlor dadurch kurzzeitig sogar weiter an Bedeutung.

Allerdings leitete auch eine Erfindung aus dem Eisenbahnbetrieb den späteren weit umfassenderen Einsatz der Braunkohle ein. Der bei den königlich-bayerischen Staatseisenbahnen beschäftigte Obermaschinenmeister Carl Exter suchte um 1850 nach einer Möglichkeit, Torf für die Feuerung von Lokomotiven nutzbar zu machen. Aus den damals vorhandenen Ziegelsteinpressen entwickelte er eine sogenannte Strangpresse, mit welcher schließlich zunächst im mitteldeutschen Kohlerevier Halle auch Braunkohle zu leichter handhabbaren Briketts verarbeitet wurde. Ab 1876 wurde mit diesem Verfahren dann die Brikettfabrik Roddergrube nahe Brühl betrieben. Für den Eisenbahnbetrieb und als billig herzustellendes Brennmaterial erlangten die Braunkohlebriketts ab diesem Zeitpunkt eine stetig zunehmende Bedeutung.

Zwangsläufig entstanden im Köln-Bonner-Raum weitere Brikettfabriken, und der Bedarf an Braunkohle nahm stetig zu. Es war damit absehbar, dass die mit den bisherigen Abbaumethoden gewonnenen Kohlemengen auf Dauer nicht ausreichen würden. In der Zeit der Jahrhundertwende ging man daher zum Einsatz von Großgeräten über. Ab 1895 wurde ein nach dem Bau des Nord-Ostsee-Kanals nicht mehr benötigter Abraumbagger für den Tagebau Donatus bei Erftstadt-Liblar übernommen, und in den Folgejahren wurden in immer mehr der bisher kleineren einzelnen Gruben Bagger eingesetzt. Aus den um 1850 etwa vierzig mit Hacken, Schaufeln und Loren betriebenen Kohlegruben entstanden im Laufe der Zeit durch Stilllegung und Zusammenlegung weniger, dafür aber immer größere Abbaugebiete. Zu Beginn des ersten Weltkrieges waren nahezu alle der knapp dreißig im Rheinland noch bestehenden Kohlegruben mit Baggern ausgestattet. Im direkten Umfeld entstanden neben Brikettfabriken nun auch Kraftwerke für die Stromversorgung der nahe gelegenen Städte Bergheim, Frechen und Köln. Auch die Brikettfabriken, die ihren Energiebedarf aus der Kohleverfeuerung deckten, speisten den überschüssigen Strom in das Stromnetz ein. Mit der zunehmenden Stromerzeugung begann in dieser Zeit schließlich auch die Ansiedlung energieintensiver Industriebetriebe.

Trotz dieser enormen Ausweitung der Fördermengen blieb die Nutzung der Braunkohle bis zum ersten Weltkrieg gegenüber der im Ruhrgebiet gewonnenen hochwertigeren Steinkohle überregional von geringer Bedeutung. Nach dem Ende des Krieges allerdings wurde die Menge der in Deutschland verfügbaren Steinkohle massiv verringert. Zum einen wurden mit Elsass-Lothringen wichtige Steinkohlevorkommen an Frankreich abgetreten, zum anderen hatte Deutschland aus den im Reichsgebiet weiter betriebenen Kohlebergwerken insbesondere im Ruhrgebiet große Mengen Steinkohle als Reparationsleistung zu liefern. Infolge dieser zunehmenden Brennstoffknappheit erlangte nun die Braunkohle einen immer höheren Stellenwert. In den nächsten zwei Jahrzehnten stieg der Anteil der Braunkohle an der Energieversorgung auf bis zu 60 Prozent. Das ansonsten rohstoffarme Deutsche Reich nutzte gerne einen mit vergleichsweise geringem Aufwand zu fördernden Energieträger.

Eine besondere Wertschätzung erlangte die Braunkohle dann durch die neuen Machthaber in der Zeit des Nationalsozialismus. Mit einer stetigen Ausweitung der Fördermengen sollte eine weitgehende Autarkie Deutschlands im Energiesektor erreicht werden. Mit dem in den zwanziger Jahren bereits in ersten Anlagen der chemischen Industrie eingesetzten Verfahren zur Kohleverflüssigung stand den Nationalsozialisten eine technische Lösung zur Verfügung, um die insbesondere für den späteren Einsatz im Krieg dringend benötigten Treibstoffe zumindest teilweise aus eigenen Rohstoffreserven herstellen zu können. Die größten dieser Hydrierwerke entstanden in Ostdeutschland. Südlich von Köln wurde 1937 die Union Rheinische Braunkohlen Kraftstoff AG gegründet, die ab 1941 Kraftstoffe für die deutsche Wehrmacht produzierte. Wie in vielen anderen Wirtschaftssektoren auch konnte aufgrund der stetigen Abkommandierung wehrtauglicher deutscher Arbeitskräfte der Betrieb der Kohleförderung und Verarbeitung bis zum Ende des Krieges nur mit zehntausenden Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen aufrecht erhalten werden. Das Ende der Kohlehydrierung im Rheinland setzte mit den massiven alliierten Bombenangriffen ab Mai 1944 ein, die die Treibstofferzeugung im Laufe dieses Jahres fast vollständig zum Erliegen brachten. Nach dem Ende des Krieges war es den Deutschen zunächst nicht mehr erlaubt, Industriebetriebe zur Kohlehydrierung zu betreiben. Letztlich war diese Treibstoffherstellung aber durch die Verfügbarkeit von billigem Erdöl ohnehin absolut unwirtschaftlich geworden. Seit dem Ende der fünfziger Jahre führte der zunehmende Einsatz von Erdöl für die Beheizung der Privathaushalte auch zu einer stetigen Verringerung der Produktion von Kohlebriketts. Wichtigster Verwendungszweck wurde die Stromerzeugung.

Aufgrund sehr geringer Deckschichten von kaum mehr als zehn oder zwölf Metern über den etwa 70 Meter starken Kohleflözen war der Braunkohleabbau bis in die fünfziger Jahre mit verhältnismäßig geringem Aufwand zu betreiben. Es war jedoch klar, dass mit fortschreitender Auskohlung der südlichen Vorkommen das Kohle-Abraum-Verhältnis in Richtung Norden deutlich ungünstiger sein würde. Durch das Absinken der Kohleflöze im Gebiet der heutigen Tagebaue Garzweiler II und Hambach auf Tiefen von 200 bzw. unter 400 Metern wurde es erforderlich, wesentlich größere Abraummengen zu bewegen und massive Eingriffe in den Grundwasserhaushalt vorzunehmen. Die Kohleförderung blieb jedoch für die Betreiber aufgrund der fortschreitenden Mechanisierung auch bei Abraummengen rentabel, die die Menge abgebauten Kohle um das sechsfache überstiegen. Immer mehr und immer größere Schaufelradbagger kamen in der Folgezeit zum Einsatz. Waren schon die nach 1954 gebauten Schaufelradbagger mit Höhen von 60 Metern und täglichen Förderleistungen von 110.000 Kubikmetern gigantisch, so wurden diese Werte bei den seit den siebziger Jahren in Dienst gestellten Baggern nochmals übertroffen. Ihre Höhen betragen nun annähernd 100 Meter, und die Fördermengen wurden mit 240.000 Kubikmetern pro Tag mehr als verdoppelt. Für den sich immer weiter in Richtung Norden verlagernden Kohleabbau wurde der Bau der sogenannten Nord-Süd-Bahn erforderlich, mit welcher die Kohle zu den Kraftwerken und Brikettfabriken im Süden transportiert werden konnte. Kleinere bisher betriebene Kraftwerke im Süden wurden teilweise stillgelegt und durch größere neue ersetzt. Im Süden der Stadt Grevenbroich wurde ab 1955 das Kraftwerk Frimmersdorf in Betrieb genommen. Ab 1963 erfolgte die Stromproduktion im Kraftwerk Niederaußem bei Bergheim, und ab 1972 im Kraftwerk Neurath, ebenfalls südlich von Grevenbroich. Aus dem westlichen Tagebau Inden wurde seit 1914 das Kraftwerk in Weisweiler versorgt; neue Kraftwerksblöcke entstanden hier ab 1955. Auch im Energiesektor ging der Einsatz immer größerer Produktionsmittel mit einer starken Marktkonzentration einher. Hatten sich 1899 noch 19 Grubenbetreiber zur besseren Vermarktung ihrer Kohlebriketts zusammengeschlossen, so entwickelte sich nach 1920 eine zunehmende Vorherrschaft des Rheinisch-Westfälischen Energiekonzerns (RWE), der heute als alleiniger Betreiber der drei verbliebenen großen Tagebaue im Rheinland auftritt.

Es kann niemanden verwundern, dass die in derart riesigen Dimensionen betriebene Förderung und Verbrennung eines Rohstoffs mit einer Vielzahl von Problemen behaftet ist.

Auswirkungen auf Landschaft und Grundwasser

Mit der Verlagerung des Kohleabbaus in das sogenannte Nordrevier werden heute im Tagebau Hambach Kohlevorkommen in einer Tiefe von bis über 400 Metern Tiefe abgebaut. Bei den Tagebauen Garzweiler II und Inden im Westrevier sind es über 200 Meter. Entsprechend besteht die Notwendigkeit, eine 3-, 4- oder 6-fache Menge Abraum pro gefördertem Kubikmeter Braunkohle bewegen zu müssen. Bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts erlaubten die geringen Abmessungen der Kohlegruben eine relativ unproblematische Renaturierung. Die in der Ville-Region zurückgebliebenen Abbaulöcher füllten sich meist schon durch einfließendes Grundwasser und bildeten kleinere Seen, die von den Befürworten des Tagebaus heute gerne als Beispiele für eine gelungene Renaturierung angeführt werden. Mit der Nordwanderung der immer größer werdenden Abbaugebiete allerdings wurde auch ein Teil des nun stetig zunehmenden Abraumes in die bereits ausgekohlten Gruben verfüllt. Bei der Beendigung des Kohletagebaus wird es diese Möglichkeit einer Verfüllung aus laufender Förderung nicht mehr geben. Zusätzlich zum Volumenverlust durch die entnommene Kohle blieben vielfach größere Abraumhalden zurück. Als größte entstand seit 1978 für den Tagebau Hambach die sogenannte Sophienhöhe, für die Teile des Hambacher Waldes und die Ortschaft Lich-Steinstraß zerstört wurden. Aufgrund ihrer Fläche von 13 km² und einer Höhe von etwa 200 Metern wäre es eigentlich erforderlich, dieses für den Tagebau entnommene Bodenmaterial wieder für die Verfüllung zu nutzen. Der Bergbautreibende hat allerdings keinesfalls die Absicht, die Kosten für den aufwendigen Rücktransport von über 2 Mrd. Kubikmetern Abraum zu übernehmen. Überdies wurde vielfach vor Beginn der Bergbautätigkeit Sand und Kies abgebaggert, was die Menge des später fehlenden Bodenmaterials weiter vergrößert.

Übrig bleiben werden damit nach Beendigung der Bergbautätigkeit drei riesige Löcher mit einer Gesamtfläche von ca. 76 km²: am Tagebau Garzweiler II 180 Meter tief (Inhalt 2 Mrd. cbm), am Tagebau Hambach 400 Meter tief (Inhalt 3,6 Mrd. cbm) und am Tagebau Inden 180 Meter tief (Inhalt 0,8 Mrd. cbm). Wegen der geringeren Kosten wird von Seiten des Energiekonzerns RWE eine Befüllung mit Wasser favorisiert. Leider ist es bei diesen Größenordnungen unmöglich, dass sich die Gruben wieder mit Grundwasser füllen könnten.

Eine wichtige Voraussetzung für den in Tiefen von mehreren hundert Metern betriebenen Abbau von Stein- und auch Braunkohle ist der Entzug von Grundwasser im Fördergebiet. Sowohl beispielsweise im Ruhrgebiet als auch im rheinischen Braunkohlerevier bestehen in der Folge sogenannte Ewigkeitslasten. Nach Ende der Bergbautätigkeit ist man auf unbestimmte Zeit dazu gezwungen, die Folgen der durch jahrzehntelange Eingriffe in den Grundwasserhaushalt hervorgerufenen Schäden mit hohem Aufwand nachzubessern. Ähnlich wie im Ruhrgebiet wird auch in den Tagebauregionen stellenweise ein Absinken großer Flächen beobachtet. Bei einem späteren Anstieg des Grundwassers auf das ursprüngliche Niveau ist daher ein Schutz der Gebäude erforderlich, örtlich auch ein dauerhaftes Abpumpen des anstehenden Wassers. Der für den Braunkohletagebau in kilometerweit vorgelagerten Zonen durchgeführte Grundwasserentzug wirkt sich in einem weiten Umkreis bis in die Niederlande und an den Rhein aus. Jährlich werden auf diese Weise für den Tagebau Garzweiler 100 Mio. cbm und für den Tagebau Hambach 400 Mio. cbm sauberes Grundwasser entzogen – mit unverkennbaren Folgen für die Vegetation. Bis in Tiefen unterhalb der Tagebausohle wird aus sämtlichen Wasser führenden Schichten abgepumpt – die in der Tiefe unter Druck stehenden Grundwasserleiter werden „entspannt“. Dieser Druckabfall bewirkt einerseits einen großräumigen Wasserentzug, andererseits ist eine Wiederherstellung der vorherigen Bodenstrukturen nach Beendigung der Wasserentnahme nicht mehr möglich. Generell ergibt sich im weiten Umfeld des Tagebaus eine dauerhafte Druckdifferenz in die Tiefe, mit der eine flächenhafte Durchsickerung der vormals voneinander getrennten Grundwasserleiter verbunden ist. Damit verringert sich die im oberen Grundwasserstockwerk verfügbare und für die Vegetation wichtige Wassermenge. Ebenso dringen nun mit Nitrat und Pestiziden verunreinigte oberflächennahe Grundwässer in tiefere Schichten ein. Im direkten Tagebaubereich entsteht eine dauerhafte Durchlässigkeit der zuvor voneinander getrennten Schichten. Die in den ausgekohlten Flächen zurück gelassenen Abraumkippen führen durch die Oxidation der in Luftkontakt getretenen Schwefel-Eisenverbindungen zu einer Versauerung des Bodens, mit der Folge einer Mobilisierung von Schwermetallen. Auf diese Weise können die in größeren Tiefen freigesetzten Schwermetalle und Salze bis in oberflächennahe Schichten vordringen und die Grundwasserqualität dauerhaft beeinträchtigen. Eine Neutralisierung des Abraummaterials findet erst in neuerer Zeit statt – im Tagebau Garzweiler etwa wurden im Jahr 2004 ca. 80 Mio. m³ versauerungsfähiger Abraum mit fast 200.000 Tonnen Kalk vermischt, wodurch bis zu 40% der Schwefeloxidation verhindert werden sollen. Dies wurde in den älteren Tagebauflächen allerdings nicht durchgeführt. Infolge dessen könnte man die zurückgelassenen Tagebaulöcher schon aus Gründen der Wasserqualität nicht mit Grundwasser füllen. Ganz abgesehen davon, dass die benötigten Wassermengen aus den entleerten Bodenschichten nicht bereitgestellt werden können. Man rechnet für den Restsee des Tagebaus Garzweiler II damit, dass der Anteil des Grundwassers nur bei etwa zehn Prozent liegen wird und aufgrund seiner höheren Dichte im unteren Bereich des Sees verbleibt. Die neu entstehenden Seen werden einen anaeroben (toten) unteren Bereich ausbilden, in dem hohe Konzentrationen gelöster Salze und Schadstoffe vorherrschen. Der bei weitem größte Anteil des für die Befüllung benötigten Wassers muss aus Flüssen zugeführt werden. Wir erleben heute schon die Auswirkungen einer durch den Klimawandel hervorgerufenen Verringerung der Niederschläge mit teilweise extrem niedrigen Flusspegeln. Die Annahme, dass sich etwa der Restsee Garzweiler mit einer Entnahme von jährlich 60 Mio. m³ Rheinwasser innerhalb von 40 Jahren planmäßig befüllen lässt, darf man wohl als optimistisch bezeichnen. Zur Vermeidung von Abbrüchen der steilen Uferzonen wird man auch während der Befüllung der Seen auf viele Jahre mit dem Abpumpen fortfahren müssen, damit eine Destabilisierung der Böschungen durch in die Seen einfließendes Grundwasser verhindert werden kann.

Lassen wir nicht außer Acht, dass mit der sogenannten bergbaulichen Inanspruchnahme durch den immer noch 74 km² großen Tagebau ein gravierender Flächenverbrauch qualitativ hochwertigster Lößböden der Jülicher und Zülpicher Börde verbunden ist. Auch die Landwirtschaft zählt durch den Verlust dieser charakteristischen regionalen Ackerflächen zu den Verlierern des Tagebaus. Schließlich werden auch durch den Bau der neuen Umsiedlerorte große landwirtschaftliche Betriebsflächen versiegelt. Demgegenüber sind die nach vielen Jahrzehnten neu entstehenden rekultivierten Ackerflächen wegen der riesigen zurückbleibenden Restseen deutlich verkleinert. Die Erfolge bei der Wiederherstellung einer für die landwirtschaftliche Nutzung erforderlichen Bodengüte sind fraglich und bleiben hinter den zuvor bestehenden Qualitäten zurück.

Die Situation der betroffenen Einwohner

Eine oftmals schwierige Situation hat sich immer schon für die vielen Menschen ergeben, die seit den frühen fünfziger Jahren für die ständig größer werdenden Tagebaue ihre Heimat verloren haben. Und auch in der nahen Zukunft sind noch viele von diesem Schicksal betroffen. Alleine im Rheinland liegt die Zahl der von Zwangsumsiedlungen Betroffenen bei 40.000.

Kaum jemand kann aus der Entfernung den Verlust der Heimat und den Bruch einer über viele Generationen bestehenden Familiengeschichte in den zerstörten Orten nachvollziehen. Die vielfach seit ihrer Kindheit mit dem Leben in ihren Heimatorten eng verbundenen Menschen verlieren neben ihrem eigenen Zuhause auch alle Orte der Erinnerung, an die man in späteren Jahren einmal zurückkehren könnte. Die Orte ihrer Kindheit, wie Geburtshaus, Schule und Kirche, Wiesen und Wälder, sogar der Friedhof, verschwinden in einem hunderte Meter tiefen Loch. Die Toten aus den jüngeren Gräbern werden zum Ende der Umsiedlungsphase an den neuen Friedhof verbracht. Oft sind dem endgültigen schweren Abschied viele Jahre der Hoffnung voraus gegangen, dass sich ihr seit zwanzig oder mehr Jahren abzeichnendes Schicksal doch noch abwenden ließe. Jahre, in denen erste Freunde und Bekannte den Ort verlassen. In denen die ersten Läden schließen, das Vereinsleben zurückgeht und schließlich an immer mehr Häusern die Fenster zugenagelt werden, um Vandalismus abzuwehren. Bagger und LKW tauchen auf; es werden Erdarbeiten durchgeführt, Absperrungen aufgebaut und Bäume gefällt. Wer nicht zu den ersten Umsiedlern zählt erlebt ein jahrelanges Sterben seines vertrauten Heimatortes. Viele, die ihre alten Orte verlassen, ziehen den Umzug in einen anderen als den neu entstehenden Umsiedlerort vor, um nicht weitere Jahre in einer großen Baustelle leben zu müssen.

Wer als Außenstehender einmal einen vor der Zerstörung stehenden Ort besucht hat, erlebt eine unwirkliche Situation. Oft stellt eine Autobahn, möglicherweise bis zum Zeitpunkt ihrer Verlegung, wie im vergangenen Jahr die A 61 zwischen Kreuz Mönchengladbach-Wanlo und Dreieck Jackerath, eine Begrenzung des Tagebaureviers dar. Sobald man diese Autobahn an einer Brücke unterquert, befindet man sich in einer anderen Welt. Auf den Äckern wird immer noch Landwirtschaft betrieben, Straßenschilder weisen die Richtung zu teilweise bereits zerstörten Orten und in einiger Entfernung ragen die riesigen Stahlkonstruktionen der 100 Meter hohen Bagger aus dem Tagebau empor. Einzelne Gebäude am Straßenrand sind vielleicht bereits verlassen. Schon am Ortseingang fällt auf, dass der Gebäudebestand vielfach in einem schlechten Zustand ist. Als Folge der bisweilen seit 20 oder 30 Jahren bekannten Situation sind manche eigentlich notwendige Reparaturarbeiten ausgeblieben, auch Neubauten finden sich hier nicht mehr. Hübsche Zier- und Nutzgärten, teilweise schon sichtlich verwildert, befinden sich zwischen kleinen Einfamilienhäusern und Bauernhöfen. Hier und auch außerhalb des Ortes hängen reifes Obst und Beeren an Bäumen und Sträuchern, die niemand mehr erntet. Wenige auf den Straßen stehende Autos, Blumen und Gardinen in den Fenstern und vielleicht auch einige Menschen lassen erkennen, dass noch nicht alle Häuser verlassen sind. An mehr und mehr Häusern sind die Rollläden herunter gelassen, teilweise Türen und Fenster mit Brettern vernagelt. Manche der kleinen Geschäfte im Ort sind ebenfalls geschlossen, die Schaufensterscheiben von innen zugeklebt, mit Holzplatten verschlossen oder gar zugemauert. Überraschend ist aber, dass es oftmals lange Zeit noch geöffnete Läden, eine Bäckerei oder Metzgerei gibt. Wer im neuen Ort keine Zukunft für seinen Betrieb sieht, hält das Geschäft offen so lange es sich noch einigermaßen lohnt, um dann für immer aufzugeben. Der Blick auf abgesenkte Bordsteine vor unbebauten Grundstücken deutet mancherorts darauf hin, dass hier bereits Häuser abgerissen wurden und aus den entstandenen Freiflächen eine Wiese entstanden ist. Gelegentlich bezeichnen vereinzelte Baumstümpfe in dieser Graslandschaft die Reste ehemaliger Gärten, ansonsten sind alle Hinterlassenschaften der fortgezogenen Bewohner sauber abgeräumt.

In der über Jahre andauernden Phase der Umsiedlung leidet aus vielerlei Gründen auch der Zusammenhalt innerhalb der Dorfgemeinschaft. Schon lange vorher unterwandert RWE das Vereinsleben und stellt gleichzeitig großzügige finanzielle Unterstützung für Sportvereine und Brauchtumspflege zur Verfügung. Frühzeitig wird durch gewogene Vereinsmitglieder oder RWE-Kontaktpersonen erkundet, von welchen Bewohnern im Ort Widerstand zu erwarten ist. Vielfach wurden in der Vergangenheit auch gut bezahlte Arbeitsplätze an Menschen in den betroffenen Orten vergeben. Zudem werden die bereits an RWE verkauften und verlassenen Häuser häufig für die Unterbringung von Werksangehörigen oder als Büros genutzt. Ein großes Problem stellt für die Dorfbewohner der Verkauf ihrer Immobilien dar, da als einziger Käufer RWE auftritt. Es wird zwar zusätzlich zum Kaufpreis eine Aufwandsentschädigung gezahlt, doch fallen die in neuerer Zeit gewährten Immobilienpreise dem Vernehmen nach geringer aus als in vergangenen Jahrzehnten. Sie entsprechen dem aktuellen Immobilienwert, nicht den Kosten für neu zu errichtende vergleichbare Gebäude. Aufgrund des Flächenmangels lassen sich große Garten- oder Wiesenflächen im neuen Ort in der Regel nicht mehr ersetzen und werden finanziell abgegolten. Da man sich früher oder später zum Verkauf entschließen muss um einer Zwangsenteignung zu entgehen ist man auf eine wohlwollende Bewertung der Immobilie angewiesen. Schließlich werden negative Äußerungen über RWE oft aus Angst vor finanziellen Einbußen vermieden. So bleiben die einzelnen Betroffenen bei der Einschätzung ihrer und der Gesamtsituation weitgehend im Ungewissen. Dies alles führt in einer jahrelang angespannten Situation teilweise auch zu offenen Konflikten unter den Bewohnern. Ein geschlossener Widerstand der Einwohnerschaft kommt auf diese Weise erst gar nicht zustande. Und während Menschen, die ihr Zuhause aufgeben müssen, um die Höhe ihrer finanziellen Entschädigung bangen, zeigt sich RWE bei der Vergütung von politischen Mandatsträgern immer wieder großzügig. Für den Energiekonzern hat sich diese Vorgehensweise in der Vergangenheit bestens bewährt. Ohnehin bestand nach der bisher geltenden Rechtsprechung keine Aussicht auf eine erfolgreiche juristische Gegenwehr. Der Tagebau und die mit seinem Betrieb verbundene Zerstörung (oder „Inanspruchnahme“) von Kulturlandschaft, Flüssen, Wäldern, Gebäuden, Kirchen, Straßen und jeglicher Infrastruktur wurden stets als unverzichtbar für das Allgemeinwohl betrachtet.

Handeln zum Wohl der Allgemeinheit

Schon die großräumige Vernichtung unserer Grundwasservorräte, die drastische Verringerung der verfügbaren wertvollen Ackerflächen und die Zerstörung vieler alter Orte mit der Vertreibung tausender Menschen sind angesichts der Erfordernisse einer modernen und umweltverträglichen Energieversorgung in keiner Weise hinnehmbar. Mochten Regierungen in vergangener Zeit aufgrund des Fehlens von Alternativen und der nicht erkannten Dringlichkeit des Umweltschutzes bereit gewesen sein, der Kohleförderung alles andere unterzuordnen, so sind die Dimensionen des dafür auch hierzulande betriebenen Raubbaus an der Umwelt heute nicht mehr zu übersehen. Verantwortungsvolle Politik kommt an einer sehr schnellen Abkehr von der Kohle nicht mehr vorbei. Für ein hoch technisiertes Land ist das Festhalten an einer Form der Energieerzeugung, wie es sie schon vor 150 Jahren gegeben hat ohnehin keine Option. Insofern erfordern auch die Zukunftsperspektiven unserer Wirtschaft klare Impulse, um Technologien für eine nachhaltige weltweite Energieversorgung weiter zu entwickeln. Im Januar 2018 gab der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) eine Studie zum Klimaschutz heraus. Dort heißt es unter anderem: „Nachhaltiger Klimaschutz eröffnet vielen unserer Unternehmen langfristig Chancen auf dem wachsenden Weltmarkt für klimaschonende Produkte und Prozesse. Richtig gemacht unterstützt er die Modernisierung einer Volkswirtschaft.“ Der Abteilungsleiter Energie- und Klimapolitik beim BDI, Dr. Carsten Rolle ergänzt: „Wenn wir demonstrieren, dass wir die Energiewende sowohl technisch als auch wirtschaftlich beherrschen, könnten wir weltweit viele Nachahmer finden – mit riesigen Chancen für die deutsche Industrie. Denn wir bauen die Kompetenz auf, ein komplexes Energiesystem der Zukunft sicher zu beherrschen. Unsere Studie zeigt, dass es möglich ist.“

Die Vorreiterrolle als ambitionierter Klimaschützer ist Deutschland längst wieder abhanden gekommen. In den letzten zehn Jahren blieb der Anteil der Braunkohle im deutschen Strommix nahezu unverändert. Das Umweltbundesamt weist für 2016 einen Ausstoß von 303 Mio. to. CO2 für die deutsche Stromerzeugung aus, der etwa zur Hälfte aus Braunkohlekraftwerken stammte. Mit einem derart hohen Emissionsanteil produzierten diese Kraftwerke indessen weniger als 25 Prozent des Stroms. Trotz des seit 2011 nun eingeleiteten Ausstiegs aus der Atomenergie wäre nicht zuletzt aufgrund eines zur Jahrtausendwende noch nicht für erreichbar gehaltenen Anteils der regenerativen Stromerzeugung von mittlerweile etwa 40% eine deutliche Drosselung der Kohleverstromung möglich gewesen. Aber statt sofort bereit stehende Gaskraftwerke, deren CO2-Ausstoß pro kWh bei weniger als der Hälfte hierzulande betriebener Kohlekraftwerke liegt, durch gesetzliche Maßnahmen mittelfristig verstärkt in die Stromproduktion einzubinden und damit eine sofortige deutliche Reduzierung der Emissionen zu erzielen, bleiben immer noch viele alte Kohlekraftwerksblöcke trotz schlechter Wirkungsgrade in Betrieb. Ganz zu schweigen davon, dass der Zubau von regenerativen Energieerzeugern durch die amtierende Bundesregierung massiv zurückgeführt worden ist. Zeitgleich werden unnötig enorme Überschüsse produziert. Im Januar 2019 wurde in Deutschland ein neuer Rekord beim Stromexport erzielt, der in etwa drei Viertel der Stromproduktion sämtlicher mit Braunkohle betriebener Kraftwerke in diesem Zeitraum entsprach. Fast zehn Prozent der deutschen Stromproduktion mussten während der letzten Jahre ins Ausland verkauft werden.

Weltweit wird die Stromerzeugung aus regenerativen Quellen in vielen Volkswirtschaften massiv ausgebaut. Die Zeiten, in denen man den damit einher gehenden konsequenten Ausstieg aus der Kohle als das Werk blauäugiger Ökoideologen verunglimpfen konnte, sind ganz offensichtlich vorbei. Denn die Verbrennung von Kohle ist nicht nur in höchstem Maße umweltschädlich, sondern sie verliert selbst bei Einbeziehung massiver staatlicher Subventionen, Abschreibung bestehender Kraftwerksanlagen und Ausblendung der exorbitanten Folgekosten zunehmend an Wettbewerbsfähigkeit– ein unflexibles Fossil der Stromerzeugung. Es entbehrt nicht einer gewissen Symbolik, dass die DDR im letzten Jahrzehnt ihres Bestehens, auf dem Weltmarkt technologisch bereits deutlich abgeschlagen, ihren Strombedarf zu über 80 Prozent aus der Braunkohle deckte. Die Rahmenbedingungen waren zweifellos andere, aber damals wie heute führte das Festhalten an veralteten Strukturen der Energieerzeugung in eine Sackgasse. Dreißig Jahre später sollten wir in der Lage sein, endlich die notwendigen Schlüsse daraus zu ziehen.