Ansichten aus Lützerath: „Dieses Loch verschluckt sogar unsere Schreie!“

CN: In diesem Text wird der ableistische Ausspruch eines Polizisten zitiert, der in Lützerath für Bestürzung gesorgt hat – und für viele Fragezeichen. Danke an die beiden Verfasserinnen, dass sie uns an ihren Erlebnissen aus Lützerath, an ihrer so unterschiedlichen und letztlich gleichermaßen schmerzerfüllten Sichtweise und an ihrer Verletzlichkeit teilhaben lassen. Auch Sprache kann Gewalt sein – und nachhaltiger schmerzen als ein Fußtritt!

Danke an Ron Weimann für die ausdrucksstarken Fotos!

 

K: Ich war heute in Lützerath, aber es gibt wenig zu berichten.

I: Ich muss leider berichten, dass es nicht so ruhig war, wie K. schreibt.

K: Die Bagger haben das Haus neben dem Junkerhof weiter abgerissen, die Security stand rum und hat gefroren, die Polizei stand auch rum, hatte schlechte Laune und hat außer der Presse keinen durchgelassen. Ich hab das kleine Kreuz geholt und mich auf die Straße gestellt. Es gab viel Staub, und die Atmosphäre der totalen Zerstörung, die ein Fotograf mit „Endlösung“ betitelte, ist etwas, woran sich wohl jeder nur schwer gewöhnen kann. Das ist schon verrückt, wie seelenruhig die Polizisten da stehen und die braven Bürger bewachen, während hinter ihnen krachend die Welt untergeht. Nach und nach kamen ein paar Aktivisti dazu und haben Fußball gespielt, wie sich herausstellte: als Vorbereitung für eine Aktion. Aber zuerst haben die Polizisten ein paarmal mitgekickt, und die Securities auch. Auf unserer Seite Freude über so viel „Menschlichkeit“.

I: Ich war eben in der Nähe der Lützerather Bushaltestelle, als, während eines Aktivisti-Fußballspiels auf der Straße, zwei oder drei Aktivisti versuchten, über die Abzäunung zu gelangen, und auch rapp-zapp „Team Blau“ in einer Stärke von mindestens dreißig und einige Securities dies verhindern konnten und ein Gerangel der Polizisten auch mit den übrigen Aktivisti begann. Ich war Augen- und Ohrenzeuge geworden, als Mensch an dem mit Klettverschluss befestigtem Polizei-Emblem am Uniform-Oberarm hängenblieb und dieses danach halb lose hing und der Polizist ihn anschnauzte: „Ey, bist Du behindert?!“ – Ich bin daraufhin sofort laut verbal dazwischengefahren und hab ihn mindestens fünf Minuten immer wieder mit seiner Aussage konfrontiert und dass er (vor allem als Beamter) für solch eine diskriminierende Äußerung mal bitte sofort hier vor Ort Stellung beziehen solle. Er hat versucht sich in die Reihe zurückzuziehen, hat dann auch endlich seinen MNS angezogen, und es war ihm durch mein penetrantes verbales „Dranbleiben“ dann wohl irgendwann zuviel und er hat sich hinter die Mannschaftswagen verkrümelt.

K: Das alles ging sehr schnell und war vorbei, bevor ich auch nur mein Handy zücken konnte. Die Polizisten haben die Aktivisti vom Zaun gepflückt und waren wenig zimperlich. Die Aktivisti wurden getrennt und Polizistinnen traten dazwischen, so dass man nur noch einen jungen Mann sehen konnte. Er fragte, auf welcher Rechtsgrundlage er hier abgeführt werde. Der Polizist hat nicht einmal geantwortet. Danach haben sie sich ziemlich seelenruhig ihr Mittagessen abgeholt. Das alles ist so sehr Alltag des Widerstands gegen RWE und gegen die Vernichtung der Braunkohlegebiete, dass es mir kaum ein Wort wert zu sein schien, zu oft habe ich das schon erlebt. Ich komme aus einem gewalttätigen Elternhaus und kann Gewalt sehr schlecht sehen. Gewalt lähmt mich umfassend und macht mich stumm. Den Ausspruch „Ey, bist du behindert?“ habe ich nicht selbst gehört, nur I’s Reaktion mitbekommen. Ich habe ihr einige Male die Hand auf den Rücken gelegt, um sie zu beruhigen und zu erden. Aber sie war so aufgebracht, dass sie es nicht wahrgenommen hat. Sie war den Tränen nahe.

I: Mein immer wiederholtes Nachfragen nach dem Einsatzleiter bzw. dem Kommunikationsbeamten blieb sehr lange ungehört – aber irgendwann stand dann ein älterer Polizeibeamter vor mir.

K: Ein älterer Polizist hat ihr angeboten, vom Ort des Geschehens wegzugehen und mit ihr zu reden. Man konnte förmlich sehen, wie er seine Schulung „Umgang mit schwierigen Bürgern“ auspackte. Aber I. war ganz auf den Polizisten konzentriert, der diesen Ausspruch getan hatte. Vielleicht hat sie das Angebot gar nicht mitbekommen. So was ist auch nicht echt. Die unterhalten sich freundlich mit dir und im nächsten Augenblick schlagen sie freundlich zu. Das kenne ich auch schon.

I: Da auch mit ihm kein „Ausräumen und Klarstellung“ zum besagten Ausspruch des Untergebenen möglich war, habe ich alle „Spalierstehenden“ nochmal lautstark beschworen, dieses Problem doch auch mal in den eigenen Reihen zum Gesprächsthema zu machen, und als Schluss-Satz blieb mir dann nur, der ganzen Truppe nochmal mitzugeben, dass SIE („TEAM BLAU“) es sind, die uns (auch durch solche Aussprüche) radikalisieren.

K: Da hat sie Recht. Das wollte ich dem Polizisten auch sagen. Die ganze Geschichte meines Widerstandes schoss mir durch den Kopf. Aber dann dachte ich mir, es hat keinen Zweck, dem Polizisten das zu erklären, dass gerade die Polizeigewalt zum Widerstand führt. Er hätte es eh nicht verstanden. Gegen drei Uhr bin ich dann gefahren – mit einem schmerzhaften Gefühl der Vergeblichkeit meines Tuns und der Scham darüber, dass ich vor der Gewalt in die Knie gehe, statt aufzustehen. Wir alle und ich alte Frau insbesondere, weil keinerlei Gefahrenpotential verkörpernd, sind der Polizei so egal wie eine Wolke am Himmel.

I: Ich hab dann nicht den Weg genommen, den der Polizei-Mannschaftsführer mir gewiesen hatte, um den Ort zu verlassen, sondern bin hinten weg über Eckardts Wiese erstmal zur Mahnwache, hab mein vorher bereits entzündetes Kerzenlicht bei Maria besucht und bin dann Richtung Mordor geradelt um da mal vier laute Schreie loszuwerden und mich mal richtig auszuweinen. Und selbst da hätte ich mir gewünscht, meine Schreie wären nachgeklungen. NEIN; dieses Loch verschluckt sogar unsere Schreie. Und als ich dann abends vor der Telko, dies erzählte und dann von K. mir anhören musste, dass solche Sprüche doch zur Normalität gehören, da fing ich wirklich an zu zweifeln, ob ICH ALLEINE im FALSCHEN FILM bin?!? Wofür gehen wir als KiDl [Initiative ‚Die Kirche(n) im Dorf lassen‘] denn auf die Straße? – frag ich mich da im Ernst // Ist es nicht GENAU JETZT AN DER ZEIT, all diese lebensverachtenden Strukturen auf breiter Front zu bearbeiten und auch aufs Tapet zu bringen?

K: Die Bilder und die Schreie waren ziemlich überwältigend. Ich hatte Mühe mit dem Straßenverkehr und konnte nicht schlafen. Immer wieder sah ich den jungen Mann, sein Ringen um Würde dort unten im Straßenschmutz, und hörte, wie unglaublich aggressiv der Polizist ihn anbrüllte. All diese Zerstörung, diese Gewalt – wofür?! Was macht das – mit uns allen?! Als I. abends davon berichtete, dachte ich nur noch, ‚in der Schule höre ich das zehnmal am Tag‘. Ich hatte keine Kraft mehr, mich gegen den Polizisten zu wehren, und habe seinen Spruch einfach hingenommen. Aber sie hat schon Recht: Es ist ein Unterschied, ob das Kinder sagen oder Erwachsene. Sie ist nicht im falschen Film. Es ist die Polizei, die die die Bürger und die Benachteiligten gegen Gewalt schützen sollte, statt selbst in Wort und Tat Gewalt zu sein.

.

 

 

 

Gottesdienst in Lützerath am Tagebau Garzweiler durch massiven Polizeieinsatz behindert / Initiative „Die Kirche(n) im Dorf lassen“ erhebt schwere Vorwürfe gegen Polizei Aachen

Erkelenz-Lützerath. (Pressemitteilung.) Die Initiative „Die Kirche(n) im Dorf lassen“ feierte heute mit ca. 80 Menschen in Lützerath am Tagebau Garzweiler einen Gottesdienst, während die RWE power AG Gebäude in dem noch bewohnten Dorf abreißen ließ. Die Abrissarbeiten wurden begleitet durch ein Großaufgebot von Werkschutz und einer Einsatzhundertschaft der Polizei.
„Als sich eine Gruppe überwiegend junger KlimaaktivistInnen diesem Gottesdienst, die von uns ausdrücklich eingeladen waren, mit vorgetragenem Transparent anschlossen, drangen PolizistInnen von zwei Seiten in die Gottesdienstgemeinde ein. Wir sind bestürzt über diesen Verlauf des heutigen Gottesdienstes,“ berichtet Dr. Anselm Meyer-Antz von „Die Kirche(n) im Dorf lassen“.

Die Theologin Cornelia Senne wurde kurz nach ihrer Predigt von Polizisten umringt, gestoßen und wiederholt auf den Rücken geschlagen. Anderen TeilnehmerInnen erging es ähnlich, sie konnten sich nur mit Mühe auf den Beinen halten. Die Gottesdienstgemeinde wurde schließlich durch eine doppelte Polizeikette getrennt. Die Initiative forderte mehrfach erfolglos eine Erklärung des Einsatzleiters für diese Maßnahme und den Abzug der Polizeikette. Erst nach einer knappen halben Stunde konnte der Gottesdienst fortgesetzt werden.
„Wir protestieren entschieden gegen einen solchen polizeilichen Eingriff in einen Gottesdienst. Der verantwortliche Polizeidirektor Hoff des Polizeipräsidiums Aachen muss diesen Verstoß gegen die grundgesetzlich garantierte Freiheit der Religionsausübung umgehend erklären“, so Renate Jansen von „Die Kirche(n) im Dorf lassen“.
Dr. Anselm Meyer-Antz betonte: „Die Zerstörung des Ortes Lützerath durch von RWE power beauftragte Firmen ist die Fortsetzung einer zukunftslosen und gefährlichen Klimapolitik, wogegen wir als christliche ökumenische Initiative regelmäßig zu Gottesdiensten vor Ort aufrufen, um uns so bewusst und aktiv mit religiösen Gesängen, Symbolen und Gebeten für die Bewahrung der Schöpfung einzusetzen.“
Angesichts der Sinnlosigkeit der Dörferzerstörung, die zuletzt wieder durch das vom Bundeswirtschaftsministerium unter Verschluss gehaltene Gutachten belegt wurde, ist die massive polizeiliche Repression und das Vorgehen gegen den Gottesdienst unverständlich.

Kontakt: die-kirchen-im-dorf-lassen@t-online.de

Twitter: @Kirche_an_Kante (dort auch Bild- und Videomaterial abrufbar)

Weitere Infos: www.kirchen-im-dorf-lassen.de

Die Initiative „Die Kirche(n) im Dorf lassen“ kämpft für den Erhalt der bedrohten Kirchen im Rheinischen Braunkohlerevier und betrachtet diesen Einsatz als untrennbar verbunden mit dem Kampf für globale Klimagerechtigkeit.

Die Kirche(n) im Dorf lassen: Pressemitteilung zu den Vorfällen während des Gottesdienstes auf der L277 anlässlich der Rodungsarbeiten

Mit Prozession und Gottesdienst auf der zerstörten L277 protestierte am frühen Dienstagmorgen die Initiative „Die Kirche(n) im Dorf lassen“ gegen die Baumfällungen durch RWE. Entgegen der Darstellung der Polizei, sie hätten das Verlassen des Ortes und die Angabe ihrer Personalien verweigert, wurde die Prozession mehrfach aktiv an der Rückkehr nach Keyenberg gehindert und ohne Frage nach Personalien in Gewahrsam genommen.

Die Initiative „Die Kirche(n) im Dorf lassen“ hat am Vorabend der Fällungen an der L277 dort zu einem Gottesdienst eingeladen, zu dem trotz schweren Regens Dutzende Menschen kamen.

„Wir haben den klaren Auftrag, die Schöpfung zu bewahren. Daran hat uns nicht zuletzt Papst Franziskus in der Enzyklika laudato si erinnert,“ so die reformierte Theologin Cornelia Senne.

Am frühen Dienstag morgen ging eine Gruppe von ca. 30 Menschen, eine davon im Rollstuhl, als Prozession mit gelbem Kreuz in Richtung der erwarteten Fällarbeiten. Sie gelangte ohne Schwierigkeiten über Feldwege auf die nicht eingezäunte L277. Begleitet wurde sie aus der Luft von einem Helikopter, vor Ort von je einem Fahrzeug von Polizei und RWE-Security, ohne dass diese eingriffen. Auf der Straße hielt die Prozession Gottesdienst mit Liedern und Lesungen. Ein Mensch aus der Gruppe kletterte auf einen Baum und hängte ein Transparent auf.

Im ersten Tageslicht kamen massive Polizeikräfte, die den Gottesdienst umstellten. Entgegen der Darstellung der Polizei wurden mehrfachen Versuche, den Ort als Prozession wieder zu verlassen, unterbunden. Die Fällarbeiten entlang der Straße hatten inzwischen eingesetzt und näherten sich dem Gottesdienst.

„Wir sangen Hoffnung wider alle Hoffnung. Dabei fielen die Bäume im Minutentakt, wir mussten alles mit ansehen“, berichtet eine Teilnehmerin.

Schließlich nahm die Polizei die Gruppe unter dem Vorwurf des Hausfriedensbruchs in Gewahrsam. Zu diesem Zeitpunkt wurde – entgegen der Darstellung der Polizei – nicht nach Personalien gefragt. An einer improvisierten Sammelstelle wurden dann Personalien erfaßt, die von von den meisten umstandslos abgegeben wurden. Einige allerdings verweigerten ihre ID. Es wurden Platzverweise erteilt sowie Leibesvisitationen vorgenommen – auch an sich ausweisenden Menschen:

„Ich wurde behandelt wie eine Verbrecherin, durchsucht und angefasst. Es war schrecklich“, berichtet eine ältere Teilnehmerin.

Denjenigen, die ihre Identität verweigerten, wurde der Transport in die Gefangenensammelstelle Aachen angekündigt. Allerdings mussten gegen Mittag alle auf richterliche Anordnung freigelassen werden.

Die Initiative „Die Kirche(n) im Dorf lassen“ protestiert gegen solche Behandlung von Menschen, die sich aus christlicher Überzeugung gegen die sinnlose Zerstörung der/von Schöpfung stellen. An der alten L277 wurden am Dienstag innerhalb weniger Stunden Hunderte von Bäumen gefällt. Damit hat RWE nach der „Roten Linie“, der L277 auch die „Grüne Linie“, die sich über 3 km hinziehende Doppelreihe der Alleebäume zerstört, die die Menschen der Region noch vor dem Tagebau geschützt hat.

Wie rücksichtslos RWE mit den Menschen vor Ort umgeht, zeigt der – sicher nicht zufällig an diesem Tag vorgenommene – Abriss des „Kreuzes von Immerath“, das am Samstag am Ort des zerstörten Immerather Domes aufgerichtet worden war. Über hundert Menschen haben dort Messe gefeiert und am Vorabend von Allerheiligen der (umgebetteten) Toten gedacht. Die Predigt sprach von der Zerstörung des Tempels und der Hoffnung auf seinen Wiederaufbau:

„Die Zerstörung und Vertreibung hier in Immerath ist Teil der weltweiten Zerstörung, die uns immer weiter in die Klimakatastrophe treibt. Wir sind als Christinnen aufgerufen, uns dem mit allen Kräften entgegenzustellen.“

Kontakt: www.kirchen-im-dorf-lassen.de

Mit Maschinenpistolen in den Wald: Neue Eskalationsstufe der Polizei

Es ist nur eine knappe SMS, die am ersten Mai um 14.44 das Telefon summen lässt, doch hektischer Ton lässt aufhorchen: „Zwischen Endor und Krähennest soll eine Wagenburg geräumt werden. Krähennest umstellt. Cops bei Manheim und Endor mit MGs, Heli Hummel 6 kreist.“ Die Nachricht kommt aus dem Hambacher Wald, wo ausgerechnet an diesem Tag niemand mit einem größeren Polizeieinsatz gerechnet hat. Hobby-Flugbeobachter können im Internet verfolgen, dass sich der Polizeihubschrauber „Hummel 6“ um 14.23 Richtung Tagebau Hambach auf den Weg gemacht hat; Fotos auf Twitter zeigen kurz darauf eine größere Ansammlung von Polizeifahrzeugen am Rand des Waldes.

Eine knappe Stunde später ist die Polizei fort. Hinterlassen hat sie mehrere Personen, die im Schutz der Bäume erst einmal ihre Tränen trocknen müssen.

Weil die Gefühle bei den Waldbesetzern hochkochen und „am Feiertag“ (so die Leitstelle der Aachener Polizei) in der Polizei-Pressestelle auf Anhieb niemand zu erreichen ist, fügt sich das Bild der Lage nur allmählich zusammen: Unvermittelt seien Polizei und RWE-Security am Waldrand aufgetaucht; die Nachricht habe sich schnell im Wald verbreitet und zahlreiche Aktivisten als Beobachter auf den Plan gerufen, so ein Augenzeuge. Ein Container mit Pumpentechnik des Tagebaubetreibers RWE sei aufgebrochen worden, und da es immer wieder zu Übergriffen auf RWE-Personal käme, habe der Konzern die Polizei Aachen um Amtshilfe gebeten, so eine Sprecherin der Polizei. Weil sie vom Wald aus die Polizei neben dem am Straßenrand geparkten Van ihres Freundes gesehen habe, so eine Aktivistin, sei sie aus dem Wald hinausgetreten, um nachzuschauen, wo er sei. „Als ich aus dem Wald kam, war die Waffe eines Polizisten auf mich gerichtet. Ich hatte meinen Rucksack im Wald gelassen und die Arme erhoben. Menschen hinter mir im Wald haben ‚Waffe runter‘ gebrüllt. Die Antwort der Polizei: ‚Lasst ihr die Waffen runter.‘ Antwort zurück: ‚Wir haben keine.‘ Darauf hat mich der Polizist aufgefordert, meine Jacke abzulegen und seine Waffe dann auch gesenkt.“ Ein RWE-Mitarbeiter habe der verängstigten Frau dann mitgeteilt, der Van habe bis zum nächsten Tag zu verschwinden, „Sonst gibt es hier das gleiche Spiel noch einmal.“ Am Telefon mit der Stimme ihres Anwalts konfrontiert, habe der Polizist gesagt: „Was interessiert mich die rechtliche Grundlage.“

Dass die Polizisten an diesem Tag mit Maschinenpistolen bewaffnet zum Wald gefahren sind, ist der Polizeisprecherin bekannt, es sei Teil der Strategie gewesen. Dass tatsächlich Waffen auf Waldbewohner gerichtet wurden, ist ihr neu. Und dass die Polizei hinzugezogen wurde, um sich um falsch geparkte Fahrzeuge zu kümmern … „das ist doch Aufgabe des Ordnungsamtes!“

Immer wieder und längst nicht nur zu Räumungszeiten leistet die Polizei am Hambacher Wald teilweise mit großem Aufwand Amtshilfe, wenn RWE anruft. Als sich am 19. September 2019 eine große Gemeinschaft von Freunden aus Wald und Zivilgesellschaft sowie Pressekollegen an der Stelle versammelte, wo ein Jahr zuvor der Blogger Steffen Meyn abgestürzt war, ließ die unmittelbar über den Wipfeln kreisende „Hummel“ nicht lange auf sich warten. RWE habe um Amtshilfe gebeten, weil ein Bagger besetzt sei, hieß es damals aus der Polizei-Pressestelle. Die Polizei reagierte prompt und mit großem Aufgebot … während besagter Bagger wenige hundert Meter von den entsetzten Trauernden entfernt völlig ungestört weiter daran arbeitete, den Abstand zwischen Tagebau und Waldrand zu verringern.

„Was hier passiert, macht mich fassungslos“, sagt Antje Grothus. Das ehemalige Mitglied der „Kohlekommission“ lebt in Buir ein paar hundert Meter vom Hambacher Wald entfernt. „Polizeieinsätze in diesem Stil, dazu noch ohne die sonst beteiligten und bekannten Kontaktbeamten, können nur den Zweck verfolgen, WadschützerInnen zu kriminalisieren. Das schafft Unfrieden und vertieft Gräben. Und Szenen mit gezückter Waffe haben wir hier noch nicht erlebt. Das ist eine ganz neue Stufe der Eskalation in einer Zeit, in der wir eigentlich alle ganz andere Sorgen haben, und es zerstört weiter Vertrauen in die, die eigentlich jetzt mehr denn je dazu da sein sollten, uns zu schützen.“

(Barbara Schnell)

 

In Datteln festgenommene Theolog*innen: NRW-Landesregierung hält Handeln der Polizei für überzogen

Pressemitteilung Institut für Theologie und Politik, Münster.

Die NRW-Landesregierung hat sich nun auf die Kleine Anfrage der Landtagsabgeordneten Verena Schäffer, Josefine Paul und Wibke Brems (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vom 11.02.20 zur Gewahrsamnahme unserer KollegInnen Dr. theol. Julia Lis und Benedikt Kern sowie ihres Begleiters Niels Laakmann, in der Nähe des Kraftwerks Datteln IV geäußert (Drucksache 17/8834).

Am 01.02.2020 waren die drei von der Polizei Recklinhausen in präventiven Gewahrsam genommen worden, weil sie sich als BeobachterInnen im Umfeld des Kraftwerks Datteln IV im Vorhinein zu den Protestaktionen von Ende Gelände aufgehalten hatten. Die Landesregierung erklärte nun, das Polizeipräsidium Recklinghausen bewerte „die vollständige Entkleidung als kritisch und für eine auf den jeweiligen Einzelfall bezogene tragfähige Ermessensentscheidung nicht ausreichend substantiiert. Gleiches gilt für das nahezu unbekleidete Verbringen der Nacht in den Gewahrsamszellen.“ Die Abläufe im Bereich des Polizeigewahrsams würden nun überprüft, und das Ministerium des Innern schließe sich dieser kritischen Bewertung an.

Auf die Frage, welche die tatsächlichen Anhaltspunkte für die Gewahrsamnahme waren, antwortete die Landesregierung nicht, mit Verweis auf die von den betroffenen TheologInnen erhobenen und noch laufenden Klagen. Hinsichtlich des verhängten Betretungsverbotes für die Betroffenen einer Zone um das Kraftwerk Datteln IV, nennt die Landesregierung ebenfalls keine näheren Gründe unter Verweis auf die am VG Gelsenkirchen laufende Klage, die bereits in einem Eilverfahren im Sinne der Betroffenen entschieden wurde, da das VG Gelsenkirchen der Auffassung war, das Handeln der Polizei sei rechtswidrig gewesen (siehe hierzu die Pressemitteilungen des VG Gelsenkirchen und des ITP vom 14.02.2020).

Dr. theol. Julia Lis erklärt: „Wir sind froh über die offensichtliche Distanzierung vom Vorgehen der Polizei und die kritische Nachbereitung der Gewahrsamnahme durch die Landesregierung. Vor allem halten wir abgesehen von unserem konkreten Fall das Entkleiden von Personen im Gewahrsam
ohne ausreichende Gründe auch generell für rechtswidrig, wie es das VG Köln ja auch bereits 2015 festgestellt hatte hatte. Daher fällt die Bewertung des polizeilichen Handelns durch die Landesregierung bei weitem zu milde aus, zumal die Gründe für die Präventivhaft immer noch nicht erklärt werden. Wir halten die Vorgehensweise der Polizei insgesamt für einen Verstoß gegen Grundrechte, was wir derzeit versuchen gerichtlich bestätigen zu lassen.

„Politisch muss nun darauf gedrängt werden, dass eine solche Form der Einschüchterung der Klimabewegung und solidarischer Beobachtung des Protestes gegen Datteln VI nicht stattfindet“, so Benedikt Kern, Theologe. „Der Schutz von Konzerninteressen durch den Rechtsstaat scheint offensichtlich ein höheres Gut sein als die Demokratie. In den Auseinandersetzungen um den Hambacher Forst wurde ähnlich vorgegangen. Unsere jahrelange Forschung und theologische Reflexion zeigt jedoch, dass Soziale Bewegungen durch ein so skandalöses Vorgehen eher gestärkt werden. Es ist davon auszugehen, dass die Proteste um Datteln IV und gegen Grundrechtseinschränkungen weiterhin relevant bleiben werden – auch inmitten der Corona-Krise, in der das öffentliche Leben massiv eingeschränkt ist.“

Die Antwort der Landesregierung auf die Kleinen Anfrage ist abrufbar unter:
https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD17-8834.pdf