Räumung von Lützerath stützt sich auf verfassungswidrigen Paragraphen / NRW-Umweltminister Krischer: “Da wurde eine Unwahrheit in ein Gesetz geschrieben”

NRW-Umweltminister Oliver Krischer, der die Räumung von Lützerath mit vorantreibt, schrieb im März 2021 auf seiner Facebook-Seite zu § 48 KVBG: “’Energiewirtschaftlich notwendig’ sei der Tagebau in Garzweiler heißt es (…) im Gesetz. Das ist natürlich Quatsch und dient einzig dem Zweck, dass RWE die letzten Dörfer rund um den Tagebau besser abreißen kann, um dort die Braunkohle zu fördern. Da wurde eine Unwahrheit in ein Gesetz geschrieben, in der Hoffnung, dass sie dadurch zur Wahrheit wird.”

Die Grüne Bundestagsfraktion ließ 2021 die Rechtmäßigkeit von § 48 vom Verfassungsrechtler Prof. Dr. Georg Hermes bewerten. Deutliches Ergebnis: Der Bund verfüge nicht über die Kompetenz, Tagebauplanung zu betreiben, da dies in den Zuständigkeitsbereich der jeweiligen Bundesländer falle. Darüber hinaus dürfe kein einzelner Tagebau bevorzugt werden, ohne dass bundesweit geprüft wurde, ob dafür eine Erforderlichkeit bestehe. Prof. Dr. Thomas Schomerus hatte im gleichen Jahr im Auftrag der Klima-Allianz den Paragraphen bewertet und ihn ebenfalls für verfassungswidrig erklärt. Bedarfsfeststellungen müssten ausreichend geprüft, begründet und die Belange aller Betroffenen abgewogen werden – das sei im Falle des §48 nicht geschehen.

“In Lützerath droht ein Klimaverbrechen und eine illegale Räumung. Wie beim Hambacher Wald sollen gewaltsam Menschen geräumt werden, die das Klima schützen – obwohl die Rechtskonstruktion zur Räumung äußerst fragwürdig ist. Polizeipräsident Weinspach kann verhindern, dass sich die Geschichte wiederholt, indem er die Räumung aufgrund der unsicheren Rechtslage verweigert.” so Jürgen Siebertz von Alle Dörfer Bleiben.

Recherchen von Greenpeace legen nah, dass der damalige NRW-Minsterpräsident Armin Laschet §48 auf Wunsch von RWE ins Kohlegesetz verhandelt hat. Anstatt den – auch aus Sicht der damals in der Opposition befindlichen Grünen – verfassungswidrigen Paragraphen zu streichen, wurde er von der Ampel-Koalition ohne wesentliche Änderungen ins vor Kurzem reformierte Kohlegesetz übernommen.

Eine aktuelle Energiemarktanalyse von Aurora Energy Research zeigt zudem, dass die Kohle unter Lützerath aller Wahrscheinlichkeit nach zur Sicherstellung der Energieversorgung nicht benötigt wird. Der Bedarf betrage bis 2030 maximal 234 Millionen Tonnen Kohle, während laut Gutachten der NRW-Landesregierung bei einem Erhalt von Lützerath noch 260 Millionen Tonnen Kohle förderbar wären.

Die Räumung von Lützerath wird Anfang Januar 2023 erwartet. Im Dorf hat sich ein vielfältiger Widerstand entwickelt, es gibt zahlreiche Seilkonstruktionen, Baumhäuser und besetzte Bauernhöfe. Es befindet sich eine dreistellige Zahl an Menschen vor Ort, die das Klimadorf schützen wollen. Zudem haben über 11.000 Menschen auf x-tausend.de erklärt, sich der Räumung von Lützerath zu widersetzen. Am 8.1.23 wird es einen Dorfspaziergang in Lützerath geben, wie sie auch bei der Räumung des Hambacher Waldes stattfanden. Wenige Tage später will die Polizei beginnen, das Dorf abzuriegeln. Am 14.1.23 laden Umweltverbände und lokale Initiativen zu einer Großdemonstration nach Lützerath ein.

Neue Studie belegt: Kohle unter Lützerath wird trotz Gaskrise nicht benötigt / Kohlegegner forden von Grüner Wirtschaftsministerin Neubaur den Erhalt des Dorfes

(Pressemitteilung „Alle Dörfer bleiben“) Berlin/Lützerath. Die „CoalExit Reasearch Group“, bestehend aus Professor Pao-Yu Oei und weiteren Wissenschaftlern der Europa-Universität Flensburg, der Technischen Universität Berlin und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW), hat in einer neuen Studie untersucht, welche Auswirkung die angekündigte Reaktivierung von Kohlekraftwerken auf den Förderbedarf am Tagebau Garzweiler II hat. Als Grundlage wird dabei der im Osterpaket der Bundesregierung beschlossene Ausbaupfad für erneuerbare Energien, der im NRW Koalitionsvertrag angekündigte Kohleausstieg 2030, sowie eine unwahrscheinlich hohe Auslastung der Kohlekraftwerke in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts angenommen. Die Studie kommt zu dem  Ergebnis, dass im aktuell geltenden Abbaubereich bereits deutlich höhere Kohlemengen genehmigt sind, als bis zum Ende der Kohleverstromung 2030 zur Sicherung der Energieversorgung benötigt werden. Folglich besteht trotz Gaskrise „weder eine energiewirtschaftliche Notwendigkeit für die Inanspruchnahme weiterer Dörfer und Höfe am Tagebau Garzweiler II noch eine energiewirtschaftliche Rechtfertigung zur Genehmigung neuer  über den Bereich des aktuellen Hauptbetriebsplan hinausgehender Abbauflächen.“
Die Organisationen Greenpeace, BUND, Klima-Allianz Deutschland und Alle Dörfer bleiben fordern die zuständige Grüne Wirtschaftsministerin Mona Neubaur dazu auf, mit der RWE Power AG den Erhalt des akut bedrohten Dorfes Lützerath zu vereinbaren und den bereits vom Konzern gestellten Antrag auf neue Abbauflächen abzulehnen. Bis zur Fertigstellung einer neuen Leitentscheidung auf Basis einer unabhängigen Massenbedarfsanalyse solle zudem ein Moratorium gelten, damit RWE keine vorzeitigen Fakten schaffe.
„Wenn RWE behauptet, dass die Kohle unter Lützerath dringend benötigt wird, ist das nichts weiter als eine dreiste Lüge! Der Konzern schreckt anscheinend nicht einmal mehr davor zurück die Energiekrise zu instrumentalisieren, um seine Übergewinne weiter zu vermehren“, so Alexandra Brüne von Alle Dörfer bleiben. „Wir erwarten, dass die neue Landesregierung endlich auf Basis der wissenschaftlichen Fakten handelt!“
Laut Studie besteht bis zum Ende der Kohleverstromung in NRW ein maximaler Kohlebedarf von 271 Millionen Tonnen Braunkohle aus dem Tagebaukomplex Hambach/Garzweiler II. Dem gegenüber sind noch 300 Millionen Tonnen in den aktuell genehmigten Bereichen beider Tagebaue förderbar, ohne dass Lützerath zerstört werden muss. Die Autor*innen der Studie weisen jedoch ausdrücklich darauf hin, dass zur Einhaltung der 1,5°-Grenze seit Anfang diesen Jahres lediglich noch ein Restbudget von ca. 40 Millionen Tonnen Braunkohle bestünde.
Karsten Smid, Klimaexperte von Greenpeace, sagt: „Die 1,5 Grad-Grenze verläuft vor Lützerath. Eine glaubwürdige Klimapolitik darf nicht zulassen, dass RWE diese Grenze überschreitet. Das sinnlose Opfern von Dörfern für die Braunkohle muss endlich ein Ende haben. Das Ausbeuten der Braunkohle unter Lützerath ist auch bei der derzeitigen Gasmangellage energiepolitisch nicht notwendig und klimapolitisch verantwortungslos.“
Klaus Breyer, Leiter des Instituts für Kirche und Gesellschaft der Evangelischen Kirche von Westfalen (IKG) und Sprecher der Klima-Allianz Deutschland e.V. meint: „Die Studie zeigt, dass bewohnte Orte wie Lützerath und umliegende Höfe kein Hindernis, sondern Hoffnungssymbol für eine andere Klima- und Energiepolitik sind. Die Gasengpässe kann Kohle nur bedingt substituieren. Der dafür benötigte Anteil im Tagebau Garzweiler ist bereits erschlossen. Jeder weitere Hauptbetriebsplan, jede neue Leitentscheidung sollte daher keinen weiteren Meter Lebensgrundlage und Heimat zerstören. Für Lützerath und für den sozialen Frieden in der Region braucht es jetzt ein Moratorium, das eine nachhaltige Lösung möglich macht.“
Dirk Jansen, NRW-Geschäftsleiter des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) erwartet von Wirtschaftsministerin Mona Neubaur klare Entscheidungen zugunsten des Klimaschutzes. „Alle weiteren Tagebaugenehmigungen müssen auf das neue Kohleausstiegsdatum 2030 und ein klimaneutrales NRW ausgerichtet werden. Damit aber ist klar, dass der RWE-Antrag auf Zulassung eines neuen Hauptbetriebsplans so nicht zugelassen werden darf. Die bergrechtliche Genehmigung muss auf die bisherige Abbaufläche unter Aussparung von Lützerath beschränkt werden. Alles andere widerspräche auch den Festlegungen im Koalitionsvertrag.“
Der Tagebaubetreiber RWE hat zum 01.01.2023 einen Antrag auf einen neuen Hauptbetriebsplan gestellt, laut welchem der Tagebau Garzweiler II weit über die aktuell geltenden Abbauflächen des Hauptbetriebsplan hinaus erweitert werden soll. Die Zuständigkeit zur Genehmigung bzw. Ablehnung liegt federführend im Grün geführten Wirtschaftsministerium NRW. Erst vor zwei Wochen hat RWE unter massiven Protesten von Klimaaktivist*innen das Dorf Lützerath mit einem Wall eingeschlossen.

Die vollständige Studie steht unter folgendem Link zum Download bereit:
https://coaltransitions.org/publications/gasknappheit-auswirkungen-auf-die-auslastung-der-braunkohlekraftwerke-und-den-erhalt-von-lutzerath/

Eine kartographische Darstellung der von RWE mit einem neuem Hauptbetriebsplan beantragten Abbaufläche findet sich unter:
https://www.bund-nrw.de/meldungen/detail/news/braunkohle-das-letzte-kapitel/