Netzwerk „Revier WIRd Region“ fordert Neujustierung des Strukturwandels im Rheinischen Revier / Teilnehmende der 7. Entwicklungskonferenz ziehen Zwischenbilanz

Erkelenz | Etwa 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zogen auf der 7. Entwicklungskonferenz Rheinisches Revier unter dem Motto „Vom Braunkohlenrevier zu einer lebenswerten Region“ eine Zwischenbilanz zum Stand des Strukturwandels fünf Jahre vor dem geplanten Ende der Braunkohleförderung. Eingeladen zu der Konferenz in Erkelenz hatte das Netzwerk „Revier WIRd Region“, ein Zusammenschluss aus Gewerkschaften, Umweltverbänden und kirchlichen Gruppen. Das Netzwerk sieht zwar erkennbare Fortschritte beim Strukturwandel, fordert aber eine deutliche Neujustierung zur Stärkung der Beteiligung der Zivilgesellschaft. Am Kohleausstiegsdatum 2030 dürfe nicht gerüttelt werden. NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur kündete auf der Konferenz die Einrichtung eines Bürgerrats in 2026 an. Damit sollen demokratische Entscheidungsprozesse und die Mitwirkung von zivilgesellschaftlicher Beteiligung gestärkt werden.

Wo stehen wir auf dem Weg zur klimaneutralen Modellregion? Wie geht es weiter mit der Einbeziehung der Bevölkerung beim Strukturwandel? Wie wollen wir in der Transformationsregion nachhaltig leben, arbeiten und wohnen? Diese Fragen standen im Mittelpunkt der Veranstaltung und wurden in drei Gesprächsrunden mit Vertreter*innen von Verbänden, Institutionen und Wissenschaft diskutiert.

Für das Netzwerk „Revier WIRd Region“ steht fest, dass der Strukturwandel im Rheinischen Revier unumkehrbar ist und seine Möglichkeiten mit hohem Tempo und breiter Beteiligung genutzt werden müssen. Grundlage eines gelingenden Strukturwandels hin zu einer klimaneutralen Modellregion bleibt das Festhalten am Kohleausstieg, die Schaffung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung und der Ausbau der erneuerbaren Energien. Die Energiewende müsse naturverträglich, erneuerbar und dezentral gestaltet werden. Wichtig sei vor allem auch, den Bürgerinnen und Bürgern mehr Teilhabe zu ermöglichen. Dazu gehört nach Ansicht des Netzwerks auch, den Ausbau der erneuerbaren Energien mit Hilfe von Bürgerenergiegenossenschaften unkompliziert, unbürokratisch und wirtschaftlich zu organisieren. „Hier gibt es noch deutlichen Nachholbedarf“, so das Fazit auf der Entwicklungskonferenz. „Zwar wird im Gigawattpakt die Energiewende als ein gesellschaftliches Gemeinschaftsprojekt beschrieben, dass Wort Bürgerenergie sucht man dort aber vergebens.“

Mit der Installation von fast 4 Gigawatt an elektrischer Leistung der Erneuerbaren werde das im „Gigawattpakt“ verankerte Ziel für 2028 von 5 Gigawatt voraussichtlich erreicht. Dabei dürfe man aber nicht stehenbleiben. Alle verträglich zu erschließenden Potenziale müssten genutzt werden, um einen möglichst hohen Anteil zur Deckung des regionalen Bedarfs von Bevölkerung, Industrie und Handwerk beizusteuern.

Grundsätzlich kritisiert das Netzwerk „Revier WIRd Region“ die überwiegende Beschränkung des Strukturwandels auf die rein wirtschaftliche Entwicklung. Soziale und ökologische Themen fänden kaum statt. Themen wie Umweltschutz, Bildung, Soziales sowie Aus- und Fortbildung für Beschäftigte kämen deutlich zu kurz. Ein erfolgreicher Strukturwandel brauche den Gleichklang aus ökonomischer, sozialer und ökologischer Transformation.

Beteiligung als zentraler Erfolgsfaktor

Das Netzwerk fordert deshalb eine Neujustierung des Strukturwandels und vor allem auch eine stärkere Einbeziehung der Zivilgesellschaft. Insbesondere müsse die weiter bestehende Intransparenz bei der Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern beseitigt werden. Die großen Schneisen der Entwicklung der Region seien bereits geschlagen ohne dass die in der RevierCharta verankerte Beteiligung eine aktive Rolle spielte. „Die Beteiligung der Bevölkerung war bislang eher symbolischer Art und muss endlich als zentraler Erfolgsfaktor für einen allgemein akzeptierten Strukturwandel verstanden werden“, so das Fazit des Netzwerks.

Die Zukunftsagentur Rheinisches Revier hat auf diese mehrfach seitens des Netzwerks vorgetragene Kritik reagiert und eine Neuausrichtung der Beteiligung gestartet. So bietet zum Beispiel eine neue digitale Plattform Bürgerinnen und Bürgern, Kommunen sowie zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren einen zentralen Ort für Information, Austausch und Engagement rund um den Strukturwandel. Das sei begrüßenswert, so das Netzwerk, müsse jetzt aber mit Inhalt und entsprechenden Förderangeboten gefüllt werden. Die Bürger- und Stakeholder-Beteiligung müsse transparent, fair gestaltet, inklusiv sowie vor allem auch einflussreich sein.

Der Strukturwandel ist nach Ansicht des Netzwerks kein Selbstzweck, sondern die Grundlage zur Schaffung einer lebenswerten Region in der Nachbergbauzeit. Dazu gehört auch, der Region und den dort lebenden Menschen eine neue Identität sowie ein neues Wir-Gefühl zu geben. „Vorzeigeprojekte und Entwicklungen mit Modellcharakter können die Region nur voranbringen, wenn sie von den Menschen akzeptiert und unterstützt werden. Strukturwandel kann nur gelingen, wenn damit der Alltag der Menschen verbessert und Gemeinsinn gestiftet wird“, so das Fazit. Hierzu müssten soziale und kulturelle Begegnungsräume rund um die Tagebaue und auch ökologische Vorrangflächen geschaffen werden. Projekte, die vernetztes Arbeiten, gemeinschaftliches Wohnen, Klimaschutz und soziale Mischung fördern, können attraktive Anlaufpunkte in der Region auch für wirtschaftliche Akteure darstellen. Der Wiederbelebung der vor den Tagebauen geretteten Dörfer kommt dabei eine zentrale Rolle zu.

Die Veranstalter der mittlerweile 7. Entwicklungskonferenz Rheinisches Revier wollen den Strukturwandelprozess auch weiterhin kritisch-konstruktiv begleiten. „Um Aufbruchstimmung zu entfachen, bedarf es mehr als Förderbescheide und Gremienbeschlüsse. Die nächsten fünf Jahre bis zum Kohleausstieg müssen zeigen, dass sich das Rheinische Revier erfolgreich zu einer klimaneutralen, nachhaltigen und lebenswerten Region mit einer neuen Identität entwickelt. Entscheidend hierfür ist auch eine bessere Beteiligung der Zivilgesellschaft“, so das abschließende Fazit.

Wer wir sind: Das Netzwerk „Revier WIRd Region“ hat sich 2022 gegründet, um den Strukturwandel im Rheinischen Revier zu begleiten und einen Dialog über Zukunftschancen in der Region zu führen. Es umfasst kirchliche Gruppen, Gewerkschaften und Umweltverbände.

Ansprechpartner*innen:

Dirk Jansen, Geschäftsleiter BUND NRW, dirk.jansen[at]bund.net

Nicole Gabor, Referentin Diözesanrat der Katholik*innen im Bistum Aachen, nicole.gabor[at]dr-aachen.de

Linus Platzer, Referent Transformation Rheinisches Revier NABU NRW, linus.platzer[at]nabu-nrw.de

Ralf Woelk, DGB, ralf.woelk[at]dgb.de

Filmtipp: „Kunst & Kultur schafft Beteiligung“ oder: Wessen Geschichte wird zukünftig im Rheinischen Revier erzählt?

Eine Pop-Up-Ausstellung im Berverather Schwalbenhof im Rahmen der Reihe „Begegnung und Bewegung an der Kante“ bildet den Bezugspunkt für einen neuen Film von Markus Belde und Miriam Pucitta. Das Werk kombiniert in einer ruhigen, inspirierenden Weise Werkstattbilder aus dem innovativen Projekt der „Buirer für Buir“ mit O-Tönen von Bewohner*innen der geretteten Erkelenzer Dörfer und von Teilnehmenden der Finissage.
Das Puzzle ergibt ein Gesamtbild von dem tiefgreifenden Umbruch, in dem die Dörfer stecken, zwischen Loslassen und Abschiednehmen einerseits, zwischen Neubeginn und Revitalisierung andererseits. Die Rolle der Kultur in diesem Prozess ist sichtbar, aber ungeklärt, denn wer bestimmt, was gezeigt und erzählt wird, und wofür gibt es öffentliches Geld und wofür nicht? Der Film ist selbst ein Baustein in der Verständigung, ganz im Sinne der Demokratiewerkstatt Rheinisches Revier, die den Film in Kooperation mit Cafe Nr 5 und „Aber Hallo e.V.“ auf den Weg gebracht hat.

Hier könnt Ihr den Film auf YouTube schauen: https://www.youtube.com/watch?v=k4LcqF26__A 

„Engel auf den Feldern“ – unser Lützerath-Buch ist da!

.

.
„Für mich waren Engel Metaphern für die besseren Menschen, die jeder in sich trägt und die wir gerne wären, wenn wir nicht immer vom Weg abkämen, und auf eine gewisse Art sind Engel auch die Kinder, die wir in uns behalten haben.“
(Wim Wenders, Regisseur „Der Himmel über Berlin“)

Am 22. Juli 2020 blockierte eine Gruppe junger Aktivist:innen den Abtransport der Trümmer einer von RWE abgerissenen Landstraße am Braunkohletagebau Garzweiler. Um das Geschehen in sicherem, aber auch sichtbarem Abstand beobachten zu können, meldeten Menschen vor dem Örtchen Lützerath eine Mahnwache an. Zwei Campingstühle, ein Sonnenschirm, so fing an, was im Lauf der nächsten zweieinhalb Jahre zu einem komplett besetzten Dorf heranwuchs, in dem zivilgesellschaftlicher und aktivistischer Widerstand gemeinsame Wege fanden.
Die Krefelder Autorin und Fotografin Barbara Schnell begleitete die Utopie Lützerath vom ersten bis zum letzten Tag mit der Kamera und berichtete in der Frankfurter Rundschau darüber.
Ein Jahr nach der Räumung und Zerstörung des Ortes kam ihr die Idee, der zunehmenden Kriminalisierung von Menschen aus der Klimagerechtigkeitsbewegung das Bild der „Engel auf den Feldern“ entgegenzusetzen. Inspiriert wurde sie durch einen Aktivisten, der am Ewigen Licht der dem Bagger geweihten Pfarrkirche von Keyenberg eine Kerze entzündete und sie über nächtliche Felder nach Lützerath trug.
Auf 232 Seiten mit über 400 Fotos gestaltete Illustrator:in Mica Jacobs ein „Lützi-Alphabet“ mit Texten von „A wie Anfang“ bis „Z wie Zusammen“; Aktivist:innen steuerten (selbst)kritische Texte zu „B wie Barriere“ oder „V wie Versorgungssicherheit“ bei und stellten Gedichte und Theaterstücke zur Verfügung; ein Kapitel über „C wie Corona“ fehlt genau so wenig wie ein Beitrag über „K wie Kompostklos“ und die, die sie benutzbar hielten.
Es entstand ein Buch über die Vielfalt – und die Unvollkommenheit – des Widerstands in Lützerath, der bis heute weit über das Rheinische Revier hin leuchtet.

„Die Dimension, die der Engel bewohnt, ist die Utopie …“
(Thomas Palzer, Autor, im Deutschlandfunk)
.
Hier eine kleine Leseprobe: Engel auf den Feldern Corona klein
.

.
Wir werden das Buch im Herbst auf einigen Veranstaltungen vorstellen, wo Ihr es auch erwerben könnt. Infos dazu findet Ihr hier unter „Termine“ im Kalender.

Ihr könnt es auch bestellen. Schickt uns dazu eine Mail mit Eurer Bestellung und Eurer Adresse an info[at]verheizte-heimat.de – wir mailen Euch dann unsere Bankverbindung. Das Buch kostet 30 Euro, die (nach Abzug der Druckkosten, ächz!) in die Finanzierung der „Akte X“-Dokumentation auf dieser Website fließen. Die Versandkosten betragen 3,50 Euro. Natürlich bekommt Ihr eine Rechnung.
.

.

 

 

 

 

 

 

 

 

.

„Leben statt Leerstand“ – drei Tage Kultur an der Kante

Erkelenz. 12.08.2025 „Was wäre wenn wir Leben in den Leerstand bringen?“ Das fragten sich Menschen aus dem Bündnis Alle Dörfer Bleiben im Sommer 2023. Die Antwort liefern sie jetzt: Am 29. und 30. August steigt das Festival „Kultur an der Kante“ in den Dörfern am Tagebau Garzweiler. Unter dem Motto „Leben statt Leerstand“ möchten die Veranstalter die vor dem Bagger geretteten Dörfern feiern und Perspektiven und Potenzial aufzeigen.

„Hier ist so viel Schönheit und tolle Substanz, aber wir haben den Eindruck, dass die Prozesse zur Wiederbelebung der Dörfer an den Menschen vorbeigehen. Wir wünschen uns echte Beteiligung für Menschen, die dringend Wohnraum suchen oder wieder herziehen möchten, aber kaum eine Chance dazu bekommen“, kritisiert Alexandra Brüne vom Bündnis Alle Dörfer bleiben. „Mit dem Festival möchten wir zeigen, dass es hier auch ‚Wiederbelebung von unten‘ gibt. Wir laden Alle ein, mit uns zu essen, zu tanzen und Infos auszutauschen. Bei unserem Erzählcafe am Samstag den 30.8. freuen wir uns auf den Besuch von Jens Hausner aus Pödelwitz im Mitteldeutschen Revier, einem schon länger geretteten Dorf, in dem Zukunft bereits aktiv gestaltet wird.“

Am Freitagabend gibt es als Auftakt ein Konzert „Klangprojekt Landna(h)me“ in der Kapelle Berverath. Der Samstag wartet mit einem bunten Programm auf zwei Bühnen in Berverath und Wanlo auf.  Neben dem Erzählcafe und mehreren musikalischen Live-Acts, u.a. mit Eight Feet Fine, ermöglicht die Gruppe „sit n skate“ einen Einblick in den Parasport. Es bietet sich auch die Möglichkeit, sich selbst einmal in den Rollstuhl zu setzen und einen kleinen Parcours auszuprobieren.

Am Sonntag lädt die Mahnwache in Manheim am Tagebau Hambach zu einem „Zeitreise-Spaziergang“ mit anschließender Live-Musik ein, ehe das Festival mit einer Filmvorführung im Cafe Nr 5 in Berverath seinen Abschluss findet.

Mehr Infos unter www.kultur-an-der-kante.de

.

Pressemitteilung der Mahnwache Lützerath lebt:

„Manheim darf nicht für den Profit von RWE abgebaggert werden“, ist die Meinung einer Besucherin an der Mahnwache in Manheim. Sie steht an dem Ort, der nicht für Braunkohle, sondern für Kies und Schotter von der Landkarte verschwinden soll. RWE benötigt den Abraum für die Stabilisierung der Abbaukante und für die Errichtung des Yachthafens vor Elsdorf. Warum wird dann der bereits gewonnene Abraum gewinnbringend verkauft? Warum glaubt man an das Märchen eines wundervollen See, woher soll das Wasser für dessen Befüllung kommen? Es gibt andere Lösungen, die aber nicht so gewinnbringend für RWE sind, und deshalb soll dieser Ort zerstört werden.

„Dieser Ort kann mit seiner wunderschönen Kirche wiederbelebt werden, wie auch die anderen Dörfer im Rheinischen Braunkohlerevier“, äußert sich Sabine Schur von der Mahnwache. „Aus dem Beschluss ‚Hambi bleibt‘ müssen Taten folgen, das heißt die Bagger müssen vor dem Manheimer Loch endlich stehen bleiben, die Zerstörung von Natur beendet und die Dörfer wiederbelebt werden.“

Aus diesem Anlass beteidigen wir uns an dem Festival „Kultur an der Kante – Leben statt Leerstand“ mit einer Zeitreise durch Manheim am Sonntag 31.08.2025, Treffpunkt an der Kirche ab 11:30 Uhr. Nach einem spannenden und informativen Spaziergang laden wir zum Austausch an die Mahnwache ein.

Am Nachmittag finden Konzerte sowie Workshops statt.

Wir freuen uns auf einen regen Austausch.

Mehr Infos unter www.kultur-an-der-kante.de

Für Presseanfragen stehen wir gerne zur Verfügung und freuen uns über eine detaillierte Berichterstattung.

Pressekontakt: Blanche Schwanke, mahnwache_luetzerath[at]riseup.net