Making of Kleingartenverein: Vom Lachen in Beklemmung

Fast sechzig Jahre alt ist Yves Roberts Verfilmung des französischen Kinderbuchklassikers „Der Krieg der Knöpfe“, und wenn es darin eine Szene gibt, bei der jedes Lachen zu Beklemmung wird, so ist es die, in der die Jungen aus Velrans die Hütte ihrer Rivalen aus Longeverne anzünden, ehe sie sie mit einem Traktor vollends schleifen. Unnachahmlich tragikomisch erzählt der Film vom Kleinkrieg zweier Jungenbanden, der in den ausgewachsenen Streit ihrer Väter ausartet, bis die Explosion einer Handgranate für betroffenes Schweigen sorgt.

Lachen in Beklemmung ist auch das Gefühl, das eine Handvoll Klimaaktivisten überkommt, als ihr von Greenpeace ausgeborgter weißer Laster an einem Samstagnachmittag Mitte August 2018 von einem blauen Golf überholt wird, in dessen Rückfenster die Worte „Bitte folgen“ aufleuchten. Keine zehn Kilometer sind sie unterwegs, als ihre Tour auf dem Rastplatz Bedburger Land West ein kurioses Ende findet.

Aufgebrochen sind der Laster und eine Handvoll Begleitfahrzeuge auf dem Klimacamp im Rheinland. Es findet in diesem Jahr in Holzweiler statt, einem Stadtteil von Erkelenz, dem mit der rot-grünen Leitentscheidung von 2016 das fragwürdige Glück zuteil wurde, nicht im Braunkohle-Tagebau Garzweiler verschwinden zu müssen, sondern 100 Meter von dessen Kante entfernt stehenbleiben zu dürfen – eine Ironie des Schicksals, die das teilweise bereits aufgegebene Dorf kalt erwischt hat. Es ist das erste Mal, dass es dem Klimacamp gelingt, die Betroffenen vor Ort fest ins Programm einzubinden, Solidarität zu schaffen zwischen Anwohnern und den wohlmeinenden Zugereisten. Ein Symbol für diese Solidarität soll auch das Holzhäuschen sein, das auf dem Camp spontan geplant und gebaut wird, als die Nachricht eintrifft, dass nicht erst Ende September, sondern schon in wenigen Tagen die Rodungsvorbereitungen im 30 Kilometer entfernten Hambacher Forst beginnen sollen. Aktivistinnen aus dem Wald, die ihre Baumhäuser für ein paar Tagen gegen das Zeltlager auf dem Klimacamp eingetauscht haben, fertigen die Bauzeichnung an, begleiten den Materialeinkauf und stehen beim Bau mit Rat und Tat zur Seite. Menschen vom Camp schauen für ein paar Stunden zum Helfen vorbei oder begleiten das Projekt bis zur Fertigstellung mit ihrem handwerklichen Können. Den ganzen Samstag über verwandeln die Camp-Besucher das Häuschen in ein dreidimensionales Wandgemälde, bis viele Hände es schließlich auf den LKW laden.

Doch auch die Polizei hat Augen und Ohren auf dem Camp, und so ist es schließlich eine Übermacht von hundertdreißig Beamten, die auf dem Rastplatz die in Blockadehaltung vor der Hütte sitzenden Aktivisten von der Ladefläche des LKWs pflückt, das Häuschen unter Berufung auf das Landesforstgesetz beschlagnahmt und es in die Asservatenkammer des Aachener Polizeipräsidiums transportieren lässt.

Wie im guten Kinderkino hat die Aktion, die die Aktivisten prompt mit dem Hashtag #Gartenlaubengate in die sozialen Medien senden, für die Autoritäten ungeahnte Konsequenzen. Während sich auf Twitter und anderswo Hohn und Spott über die Polizei ergießen und bald eine Fotomontage die Runde macht, die die Laube im Garten des Aachener Polizeipräsidenten zeigt, schmuggeln die Klimaschützer im Schutz der Dunkelheit ein zweites Baumhaus an der Polizei vorbei in den Hambacher Wald. Dort bauen ihrerseits die Waldbewohner an einer weiteren Hütte – Plan B, falls auch der zweite Transport gestoppt wird. Doch das wird er nicht, und als am nächsten Morgen der Aachener Waldpädagoge Michael Zobel einige Hundert Interessierte auf seinem monatlichen Waldspaziergang durch den umstrittenen Forst führt, zieht die Waldgemeinschaft vor laufenden TV-Kameras gleich zwei Plattformen in die Bäume hoch.

„Nachdem wir gestern vergeblich auf unsere Freundinnen gewartet haben, haben wir uns schlafen gelegt, zum Einschlafen haben wir uns Geschichten vorgelesen, um uns zu beruhigen, und am Ende war nur noch die lebendige Stille des Waldes bei Nacht da“, liest eine Baumhausbewohnerin unterdessen vor – ein Text zur Aktion, auf Papierresten hastig verfasst, jedes Wort trifft ins Herz. „Ich lade alle ein, vorbeizukommen und in dem Haus zu verweilen, wann immer die Angst und die Zweifel in euch stärker werden als die Hoffnung. Dieser Ort soll uns daran erinnern, dass wir gemeinsam, entschlossen, kreativ und liebevoll eine Wahrheit erzählen, die das System aus Gier und Wachstumswahn zum Wanken bringt.“

Robin nennt sich die Zweiundzwanzigjährige, die im Herbst 2016 auf den Wald aufmerksam geworden ist. „Da hatte ich Abitur und FSJ hinter mir, hatte angefangen zu studieren … und dann haben mir Freunde von der Waldbesetzung erzählt. Ich habe angefangen, den Blog der Besetzer zu lesen, und habe dann die ersten Berichte von der Rodung gesehen. Ich war schockiert von diesem Bild, dass die Polizei diese Maschinen schützt – ein Bild, das zu meinem bis dahin vagen Gefühl passte, dass der Staat nicht dazu da ist, für gute Lebensbedingungen für alle zu sorgen.“

Die Neugier wuchs, und so fand sich Robin auf einem von Michael Zobels Waldspaziergängen wieder, der ihr zunächst den unverbindlichen Blick ermöglichte. Doch mit der Unverbindlichkeit war es schnell vorbei: „Ich habe in der Baumhaussiedlung Gallien gestanden, zu der Hängebrücke in den Wipfeln hochgeschaut, und die Entscheidung war getroffen. Es war so ein glückliches Gefühl, in diese Welt einzutauchen. Ich dachte zwar erst, ich schaue es mir nur an, aber dann habe ich schnell Menschen kennengelernt, bei denen ich mich wohlgefühlt habe, die einen Umgang miteinander hatten, wie ich ihn von außen nicht kannte. Die Kollaboration leben, nicht Konkurrenz.“

Der Klimawandel, so sagt sie, war ihr zwar bewusst, doch eigentlich war sie vor allem auf der Suche nach einem Ort, an dem „ich sozialen Wandel bewirken kann.“ Umgeben von einer Außenwelt, die den Waldbewohnern gern Realitätsflucht unterstellt, sieht die junge Frau das Leben im Wald als Feldversuch für ein respektvolleres Zusammenleben. „Ich habe hier viel mehr und viel nachhaltiger gelernt als in der Schule. Als ich hierher gekommen bin, konnte ich nicht handwerkern, nicht klettern, keine Plena moderieren und nicht in großen Gruppen über meine Emotionen reden.“ Heute trägt sie ihr Kletterzeug wie andere Menschen Schuhe, bedient sie den Akkuschrauber so geschickt wie den Stift, mit dem sie ihre Rede geschrieben hat, und dass man Situationen im Plenum erörtert, ist ein wichtiges Werkzeug des Alltags. „Wenn es keine Chefs gibt, die entscheiden, braucht man nun einmal viel Kommunikation.“

Doch so selbstverständlich, wie sie in zwanzig Metern Höhe Häuser baut, so selbstverständlich bewegt sie sich auch außerhalb des Waldes, in den sie nach mehrmonatiger Abwesenheit gerade erst zurückgekehrt ist. „Eigentlich hatten wir geplant, erst später zu kommen, aber dann stand auf dem Klimacamp plötzlich die Drohung der Räumung da. Es gab viele Ideen, wie wir mit dieser Situation umgehen könnten, aber wir haben uns dann entschlossen, sofort in den Wald zu gehen und ein neues Baumhausdorf zu bauen.“ Vierzehn Tage nach dem Gartenlaubengate schmiegen sich in der Siedlung rings um die beiden Ersatz-“Gartenlauben“, die sich augenzwinkernd „Kleingartenverein“ nennt, ein halbes Dutzend neue Strukturen in die Kronen der gewaltigen Eichen und Buchen, denen die Spuren des Dürre-Sommers deutlich anzusehen sind. Die Bauten sind improvisierter als die der älteren Dörfer und zunächst nicht für den Winter isoliert, aber immerhin erst einmal regenfest, konstruiert und bewohnt von Menschen, die wie Robin wegen der Räumungssituation gekommen sind. „Das ist einer der schönen Effekte der dezentralen Organisation hier im Wald. Jedes Baumhausdorf ist anders, aber in allen haben sich Leute zusammengefunden, die gemeinsame Ideen vom Zusammenleben haben.“ Im neuen Dorf gehört dazu Musik. Wann immer die zunehmend präsente Polizei den Besetzern eine Ruhepause gönnt, versammeln sie sich am Boden, und immer spielt jemand Gitarre oder Akkordeon, immer erklingt Gesang. „In unserer Kultur lernt man ja nicht mehr, gemeinsam zu singen. Wie schön es ist, Lieder auswendig zu singen, auch das habe ich hier gelernt.“

Wie es ausgehen wird mit dem Hambacher Forst, kann Anfang September 2018 niemand sagen. Doch ihre Vision für den September 2019 hat Robin klar vor Augen: „Der Wald steht noch, der Kohleausstieg wurde beschlossen und sofort umgesetzt, der Strukturwandel wird auf eine schöne Art gestaltet, und wir können den Hambacher Forst wieder sich selbst überlassen. Ich lebe in einem Projekt mit Menschen, die mir nahestehen, und wir tüfteln an einer gemeinsamen Ökonomie, die es uns ermöglicht, Vereinzelung und Konkurrenz aufzugeben.“

In Yves Roberts „Krieg der Knöpfe“ gibt es eine weitere prägnante Szene, in der Holzfäller an dem Baum sägen, auf den sich einer der Jungen in seiner Verzweiflung geflüchtet hat. Wenn es nach den Utopisten im Hambacher Wald und ihren Unterstützern geht, wird der Krieg der Bäume durch einen kunstvoll moderierten Dialog entschieden, damit es dort zu solchen Szenen erst gar nicht kommt.

 

(Text & Fotos: B. Schnell)

Was bleibt? „Ich kann selber etwas bewegen!“

Es ist das vierte Wochenende im September. Nach dem Tod des Filmemachers Steffen Meyn ruhen die Räumungsarbeiten im Hambacher Wald. Der Himmel hat sich zugezogen; der Altweibersommer weicht dem Herbst. Einige Baumhausdörfer sind bereits komplett geräumt, andere bereiten sich auf den Belagerungszustand vor. Im „Kleingartenverein“ am südlichen Waldrand herrscht noch Alltag. Auch hier schaut die Polizei zwar hin und wieder vorbei, doch die Pressevertreter, die Aktivisten für Interviews suchen, lässt man ungehindert in das jüngste Waldbesetzerdorf – genau wie die vielen Tagesausflügler und Neugierigen, die etwas über das Leben im Wald erfahren möchten.

Mit zwei solchen Besuchern steht ein junger Mann, der sich Strobo nennt, unter einem Baum, von dem ein Kletterseil herunterhängt. Alle drei tragen Klettergurte; die der Besucher sind in der Siedlung ausgeborgt. Fachkundig und detailliert beschreibt Strobo verschiedene Methoden des Einstiegs in ein Kletterseil, ihre Vor- und Nachteile und Gefahren, und lässt seine beiden Schüler dann selbst probieren. Ein Kletterworkshop als Last-Minute-Maßnahme im Angesicht der bevorstehenden Räumung?

„Das ist überhaupt nicht mein Gedanke dabei“, sagt der Zweiundzwanzigjährige. „Wenn ich hier Menschen Klettern beibringe, geht es nicht darum, quasi auch sofort den Lohn dafür einzustreichen. Es geht uns ja hier nicht nur um den Hambacher Wald, sondern um eine Kette von Zielen. Das, was ich hier tue, ist ein Beitrag zu einem größeren Ziel. Und das beginnt damit, ihnen zu zeigen, was sie selber können.“

Gerade nach dem Unfall, der erst drei Tage her ist, betont Strobo, wie ernst er die Verantwortung nimmt, wenn er andere Menschen in die Höhe schickt. „Ich habe selber den Einstieg im Wald gelernt, mich dann aber draußen mit erfahrenen Kletterern getroffen und es mir in Ruhe beibringen lassen. Als ich dann in den Wald zurückgekommen bin, konnte ich es schon.“

Wer in diesem Moment als Laie inmitten des geschäftigen Treibens am Boden der Siedlung steht, versteht die Dialoge ringsum kaum zur Hälfte. „Kann mir mal jemand 6er Polyprop runterwerfen?“, erklingt es nebenan, wo noch an einer Plattform gebaut wird, während Strobo seinen Schülern zeigt, wie man einen Prusik knotet.

„Materialkunde nehmen wir hier sehr ernst, lernen aber auch viel voneinander im Zusammenleben. Was wir hier jetzt noch an Workshops geben, kann nur ein Hineinschnuppern sein. Ich kann den Leuten zeigen, wie sie sicher rauf und runter kommen, würde mich aber sehr schlecht damit fühlen, wenn sie mit diesem Anfängerwissen dann allein losziehen würden. Und wenn die Polizei kommt, will ich nicht auf einem Baumhaus sitzen mit einer Person, die nicht klettern kann. Trotzdem ist der Ansturm, den wir jetzt erleben, wunderschön und gibt uns die Gelegenheit, auch jetzt noch einmal unsere Prinzipien zu demonstrieren: Unser Wissen zu teilen, aber auch einzuschätzen, wie damit umgegangen wird. Im Wald ist jeder für sich selbst verantwortlich, trotzdem geben alle gegenseitig aufeinander acht und helfen sich.“

Zwei Tage später wird Strobos Baumhaus geräumt. NRW-Innenminister Herbert Reul wirft den Aktivisten vor, die Pause nach dem Tod ihres Freundes auszunutzen, um neue Strukturen zu schaffen. Steffen Meyns Eltern bitten in der Todesanzeige, „im Sinne von Steffen“ von Trauerkleidung abzusehen und für die Aktivisten im Hambacher Wald zu spenden.

Es ist das fünfte Wochenende im September. Die Sonne ist wieder da, doch auf der kleinen Wiese vor dem Aachener Polizeipräsidium weht ein kalter Wind. Hier steht seit dem 13. September der „GeSa Support“. Abseits des Medienrummels im Wald nimmt eine Gruppe von Freiwilligen rund um die Uhr die Müden, die Wütenden und die Traumatisierten in Empfang, die nach ihrer Ingewahrsamnahme im Hambacher Wald aus der Gefangenensammelstelle (GeSa) entlassen werden. Ein Pavillon, ein Dixiklo, eine Biertischgarnitur: „Die Polizei hat uns den Raum, auf dem wir uns bewegen dürfen, mit Sprühkreide eingegrenzt“, sagt Jan Willen, dessen Schicht gerade zu Ende geht. „Es ist ein Akt, diese ehrenamtliche 24-Stunden-Präsenz zu organisieren. Aber wir erleben auch eine unfassbare Welle der Solidarität aus der Bevölkerung. Wir bekommen personelle Unterstützung, zunächst aus Mönchengladbach und Köln, inzwischen aus dem ganzen Bundesgebiet. Menschen bringen uns Spiele und Decken vorbei, kochen und backen für uns oder nehmen Geschirr zum Spülen mit nach Hause; neulich hat das Hotel auf der anderen Straßenseite uns Kaffee gebracht.“

Schon seit Jahren verfolgt der 57jährige Verwaltungsangestellte das Geschehen im Wald. „Dort habe ich oft diese Hilflosigkeit empfunden: Ich bin zwar hier, ich kann aber nicht auf Bäume klettern und vor Ort helfen. Das kann ich jetzt an diesem Ort. Anfangs war das für mich sehr seltsam, hier zu stehen und mein Gesicht zu zeigen, weil ich mit vielen der Polizisten, die hier vorbeigehen, beruflich zu tun habe. Aber inzwischen ist da nur noch Klarheit. Ich weiß genau was ich mache. Ich bin Teil eines Netzwerks, in dem sich Menschen vom TH-Professoren bis zum Handwerker zusammengefunden haben. Wir alle erfahren, dass man sich Dingen nicht nur passiv, sondern aktiv entgegenstellen kann. Ich kann selber etwas bewegen.“

Bis zum 5. Oktober ist die Mahnwache vor dem Präsidium angemeldet. Ob der Hambacher Wald bis dahin wirklich frei von allen Aktivisten ist, kann niemand sagen. Jan Willen und seine Mitstreiter sind darauf eingestellt, auch noch länger zu bleiben: „Es ist so beeindruckend zu sehen, wie die Menschen, wenn sie entlassen werden, auf ihre Bezugsgruppen warten, bis auch der letzte draußen ist. Es sind alte Hasen darunter, für die Repression nichts Neues ist. Die jungen, die das zum ersten Mal erleben, sind oft sehr getroffen. Und für uns steht fest: Wenn sie dieses Gebäude verlassen, soll keiner von ihnen alleine sein.“

(Text & Foto: Barbara Schnell)