Immer wieder Abrisse von Kreuzen am Tagebau Garzweiler: Offener Brief an RWE-Pressesprecher Guido Steffen & Pressemitteilung der Initiative „Die Kirche(n) im Dorf lassen“

In den letzten Wochen wurden am Tagebau Garzweiler insgesamt fünf Kreuze abgerissen und entfernt, die zum Teil in feierlichen Gottesdiensten von der Initiative „Die Kirche(n) im Dorf lassen“ aufgerichtet worden waren: So zum Beispiel das am Karfreitag errichtete, mit dem Hungertuch von Misereor verhüllte Kreuz oder das zum Jahrestag „Ein Jahr Gottesdienste an der Kante“ am 16. Mai aufgestellte Kreuz. Aber auch das bereits an Weihnachten im Gedenken an den dritten Jahrestag der Zerstörung des Immerather Doms auf dessen Fundamenten aufgerichtete Kreuz wurde – zeitgleich mit dem Karfreitagskreuz – entfernt.

“Wir stehen fassungslos vor dieser wiederholten Zerstörung religiöser Symbole, die den Menschen der Region Hoffnung gaben auf Versöhnung, auf Frieden“, so Cornelia Senne von Die Kirche(n) im Dorf lassen. „Die Menschen fragen uns: Wer tut so etwas? Und warum? Werfen sie die Kreuze einfach auf den Müll?“

Viele sind überzeugt, dass die RWE power AG für die Entfernung der Kreuze verantwortlich ist. Daher hat „Die Kirche(n) im Dorf lassen“ eine Anfrage an RWE gerichtet (s. unten), um diese Fragen zu klären und eventuell falsche Verdächtigungen aus der Welt zu schaffen.

Besonders schmerzlich ist für Anselm Meyer-Antz von der Initiative die Zerstörung des „Jubiläums-Kreuzes“, an das Gottesdienstbesucher*innen auf Stoff geschriebene Gebete geheftet hatten: „In der Vorstellung des tibetischen Buddhismus müssen solche Gebetsfahnen bis zur vollständigen Verwitterung dem Wind ausgesetzt bleiben – erst in diesem Moment erreicht das Gebet den Himmel.“ Die Zerstörung der Gebetsfahnen sei daher nicht nur äußerst rücksichtslos, sondern
ein massiver Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung.

„Wir werden nicht aufhören, in der ‚gottverlassenen‘ Wüstenei der zerstörten Dörfer Kreuze aufzurichten und so auf die konkrete Anwesenheit Gottes in der Welt zu verweisen – gerade an solchen Orten der Zerstörung“, so noch einmal Cornelia Senne. „Auf eine andere Weise, auf religiöser Ebene, wiederholen wir den Spruch des Bundesverfassungsgerichts mit seinem Appell an unsere Verantwortung für kommende Generationen, für die Menschen weltweit, für die Schöpfung.“

Die Kreuze standen auf frei zugänglichem Gelände, waren solide verankert und stellten somit keinerlei Gefahr für die Öffentlichkeit dar.

 

OFFENER BRIEF zu den Kreuzabrissen an RWE-Pressesprecher Guido Steffen

Sehr geehrter Herr Steffen,
in den vergangenen Wochen wurden zahlreiche, auch von der Initiative „Die Kirche(n) im Dorf lassen“ aufgerichtete Kreuze am Tagebau Garzweiler abgerissen:

– das im Rahmen unseres Karfreitag-Gottesdienstes in Lützerath aufgerichtete (verhüllte) Kreuz
– am gleichen Tag das an Weihnachten zum Gedenken an den Fall des Immerather Domes auf seinen Fundamenten errichtete Kreuz
– ein weiteres im Mai am Ort des Karfreitags-Kreuzes in Lützerath errichtetes Kreuz
– das im Rahmen unseres Jubiläums-Gottesdienstes am 16. Mai in Lützerath errichtete Kreuz
– zwei nach diesem Abriss an gleicher Stelle aufgerichtete Kreuze

Wir stehen fassungslos vor dieser wiederholten Zerstörung religiöser Symbole, die den Menschen der Region Hoffnung geben auf Versöhnung, auf Frieden. Und wir werden von diesen Menschen gefragt: „Wer tut das? Die von RWE? Warum machen sie das? Was machen sie mit dem Kreuz? Werfen sie es einfach auf den Müll?“

Wir sehen uns außerstande, diese Fragen zu beantworten, reichen sie deshalb an Sie weiter – und hoffen gemeinsam mit den Menschen vor Ort auf eine Antwort.
Cornelia Senne
für „Die Kirche(n) im Dorf lassen

„Je länger das dröhnende Schweigen der Verantwortlichen anhält und mit jedem Tag, an dem wieder niemand moralisch Verantwortung übernimmt, wächst diese Wunde.“ Predigt von Maria Mesrian (Maria 2.0 im Rheinland) am 7. Februar in Keyenberg an der Kirche

Kirche(n) im Dorf lassen & Maria 2.0:
„Wo du hingehst, da will auch ich hingehen.“ (Ruth 1,16)
Auf dem Weg zu Klima- und Gendergerechtigkeit
Solidarität als Antwort auf Formen struktureller Gewalt

Danke für die Einladung von “Kirche(n) im Dorf lassen “, der Initiative für Klimagerechtigkeit und für die Erhaltung der Kirchen und Dörfer in den vom Braunkohleabbau bedrohten Dörfern. 30 Minuten von Köln entfernt! Beeindruckend wie die Aktivist:innen dort kämpfen!

I. Walk in her shoes

Ich bin dankbar für die Möglichkeit, die ihr Frauen und Männer von „Kirche(n) im Dorf lassen“ mir heute gegeben habt. Ich durfte zum ersten Mal diesen Ort erleben und in euren Schuhen laufen. Als ich in der Vorbereitung auf heute die Augenzeugenberichte über eure Kämpfe und eure Aktionen gelesen habe, war ich tief berührt und bin sehr demütig geworden. Gegen euch sind wir, bin ich eine „blutige Anfängerin“.
Welche Zerstörung ihr erleben müsst, wie eure Heimat vernichtet wird aus reiner Profitgier, wie ihr das aushaltet, verdient meinen höchsten Respekt.
In den letzten Wochen, in denen wir uns mit Maria 2.0 intensiv und täglich mit den Betroffenen des sexuellen Missbrauchs und den Vertuschungen der Taten auseinander gesetzt haben, habe ich immer stärker das Bild einer offenen Wunde vor Augen.
Je länger das dröhnende Schweigen der Verantwortlichen anhält und mit jedem Tag, an dem wieder niemand moralisch Verantwortung übernimmt, wächst diese Wunde.
Manchmal spüre ich das fast körperlich. Es ist eine Mischung aus Wut und Ohnmacht angesichts einer scheinbaren Übermacht. Diese Übermacht ist im Fall von Maria 2.0 wenig greifbar. Sie versteckt sich hinter hohen Kirchenmauern und 2000 Jahre alten , patriarchalen, toxischen Machtstrukturen.
Hier in den Dörfern zeigt sich die Macht auf brutale Weise im Abriß der Dörfer, in diesem gespenstischen Riesenbagger und zutiefst in der Riesenwunde, die in die Erde hier gegraben wird und an deren Kante wir gerade stehen. Ich glaube, ihr kennt sehr gut, das Gefühl von Ohnmacht, Zorn und Wut.

II. Ursache: Ungerechtigkeit:

Eure Dörfer, dieses Loch vor dem wir stehen, stehen für die sinnlose Zerstörungswut auf Kosten der Natur und der Menschen. Profitgier und der Glaube an endloses, wirtschaftliches Wachstum als Triebfedern des Kapitalismus lassen das hier zurück: Verbrannte Erde – „Verheizte Heimat“. Die Auswirkungen sehen wir hier mit eigenen Augen. Wie eine Krake spannen sich die Folgen, die der Klimawandel mit sich bringt um die ganze Erde und betreffen uns alle.
Es ist das Erbe, das wir unseren Kindern überlassen.
Durchgesetzt wird die Zerstörung mit aller Macht. Sie verhilft der Ungerechtigkeit zu ihrem Recht. Auf der einen Seite, die, die ihrer Dörfer, ihrer Kirchen, ihrer Heimat beraubt werden. Auf der anderen Seite ein System, in dem Ungerechtigkeit allgegenwärtig ist.
Fast nahtlos verlaufen hier die Parallelen zur systemischen Ungerechtigkeit, wie sie uns in der katholischen Kirche begegnet. Bis heute hält die Institution eisern an der Diskriminierung von Frauen fest. Ihre Weigerung, Frauen die gleiche Rechte zukommen zu lassen ist deshalb nicht hin nehmbar, weil damit seit Jahrtausenden ein Menschenbild gefestigt wird, das Männer und Frauen nicht als gleichwertig anerkennt und zutiefst ungerecht ist. Durch diese Diskriminierung wird ein Machtgefälle legitimiert. Auf der einen Seite die Macht der Männer, die übrigens mit der Macht über das Geld und die Kirchenschlüssel beinhaltet. (Anmerk.: In Keyenberg wurde der langjährigen Küsterin der Schlüssel der Kirche vom zuständigen Pfarrer abgenommen, als sie Aktivist:innen von Greanpeace die Kirchentüre geöffnet hat https://www.sueddeutsche.de/wissen/umwelt-erkelenz-streit-um-cdu-c-in-kirche-kuesterin-muss-schluessel-abgeben-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-191128-99-922335.) Auf der anderen Seite die „scheinbar“ ohnmächtigen Frauen, die sich in die ihnen zugewiesene Rolle fügen sollen.
Die Wunde, die durch diese strukturelle Diskriminierung entsteht ist tief und es wäre zu eng gedacht als wenn sie sich nur in der frauenfeindlichen Haltung zeigen würde. Sie zeigt sich in der Ausgrenzung von Homosexuellen, von Menschen, die nach einer Scheidung wieder heiraten möchten. Sie zeigt sich in der Weigerung, gemeinsam mit anderen Christen das Abendmahl zu feiern. Und am bedrückendsten zeigt sie sich in den Taten der sexualisierten Gewalt an Kindern und Jugendlichen. Das ist die Wunde, die mich sprachlos zurücklässt.
Die Weigerung – aktuell in Köln zu erleben, diese Taten und deren Vertuschung aufzuklären und damit meine ich nicht 5 weitere Gutachten, ist würdelos. Es ist würdelos, dass keiner der bekannten Verantwortungsträger persönlich moralisch Verantwortung übernimmt. Dabei geht es nicht um die Wiederherstellung von Glaubwürdigkeit für die Kirche, sondern um Gerechtigkeit für die Betroffenen. Das ist deshalb so unerträglich, weil Gerechtigkeit zur DNA des Evangeliums gehört. Sie ist die Grundachse, auf der Jesu Leben und seine Botschaft verläuft.
Gerechtigkeit wiederherzustellen gehört damit zu den Pflichten eines Christenmenschen.
Deshalb ist euer Kampf für Klimagerechtigkeit ein zutiefst christlicher Kampf. Er nimmt die Zustände der Ungerechtigkeit nicht hin, sondern setzt etwas dagegen. Und deshalb ist unser Kampf für Geschlechtergerechtigkeit und für Gerechtigkeit gegenüber den Betroffenen unsere Pflicht. Alles andere wäre ein Verrat an der Botschaft Jesu. Die Rede von Gott hat für mich immer die politische Dimension, weil sie sonst in nebulösen Sphären hängenbleibt und leicht dazu missbraucht werden kann, mit „Gottes Willen“ ungerechte, menschenfeindliche Zustände zu begründen und zu manifestieren.

III. Von der Ohnmacht zur Wirkmacht

Wie können wir die Wunden heilen? Was setzen wir der Gewalt entgegen, die von den jeweiligen Systemen ausgeht? Woher nehmen wir die Kraft angesichts eines scheinbar übermächtigen Systems?
„Du stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöhst die Niedrigen“. Der uralte Gesang des Magnificat, die Hymne der Ohnmächtigen wird hier in Keyenberg real. Und tatsächlich. Einmal aufgestanden, losgegangen entwickelt sich eine Dynamik, die mich staunen lässt. Die mich auch hier bei euch berührt. Euer Protest ist vielfältig und bunt. Auch ihr seid ja in vielfältige Netzwerke eingebunden und kämpft an der Seite von Fridays for future, Ende Gelände und den Aktivist:innen im Hambacher Forst und den anderen Wäldern. Ihr seid nicht nur ein kleiner Haufen Christ:innen, sondern eingebunden in einen bunte Welt verschiedener Menschen, die sich unabhängig von Geschlecht, Alter und Herkunft engagieren.
Das dürfen wir von Maria 2.0 genauso erleben. Weltweit sind wir inzwischen mit Frauen auf allen Kontinenten vernetzt und kämpfen für die gleichen Rechte, damit Jesu Botschaft wieder zum Strahlen kommt, befreit von diskriminierenden, menschenfeindlichen Strukturen. Es geht nicht darum, die Kirche zu retten. Diese Form der Kirche, die nicht die Schwachen, die Opfer im Blick hat, die die Schöpfung nicht achtet und schützt, die Menschen abweist, die Glauben in ein enges Korsett pressen will und genau zu wissen vorgibt, was katholisch ist und was nicht, muss sterben. Sie muss Platz machen für die Botschaft Jesu. Es geht darum, diese immer noch revolutionäre Botschaft Jesu der Gerechtigkeit und Liebe zu retten. Weil sie wirklich das Zeug hat, die Welt zu einem besseren Ort zu machen.
“Wo Du hingehst, will auch ich hingehen.“ Dieser Ausspruch Ruts, dieser tapferen Frau, die ihrer Schwiegermutter in ein für sie fremdes Land bedingungslos folgt, ist ein Zeichen unbedingter Solidarität. Eine Solidarität, die die eigene Schwäche und Ohnmacht als Frau, als Fremde überwindet und ihre Kraft findet, in dem sie mitgeht. In den Schuhen der anderen.
Diese Solidarität ist der Schlüssel für Veränderung. Dann wird die Macht der Ohnmächtigen sichtbar. Sie geht über alle Generationen hinweg wie man auch an der Klimabewegung sehen kann. Meine älteste Mitstreiterin bei Maria 2.0 ist 92 und unsere Jüngste ist gerade 5. Denn für sie führen wir diesen Kampf: Solidarität mit den zukünftigen Generationen.
Und dann werden aus Wunden Risse durch die das Licht einfällt. Leonard Cohen singt das: There is a Crack in everything and that is how the light comes in.
Ihr alle, die ihr hier mit eurer Leidenschaft und eurer Klarheit für den Erhalt der Dörfer und für einen Stopp der Zerstörung der Schöpfung eintretet, seid das Licht, das eindringt in die vorher übermächtigen, abgeschotteten, dunklen Systeme.
Ich wünsche euch und uns diese Kraft im Mitgehen, in der Solidarität wie Rut zu finden, denn darin liegt sie. Und wir wissen, dass wir nicht alleine gehen.

 

(Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung.)

Ansichten aus Lützerath: „Dieses Loch verschluckt sogar unsere Schreie!“

CN: In diesem Text wird der ableistische Ausspruch eines Polizisten zitiert, der in Lützerath für Bestürzung gesorgt hat – und für viele Fragezeichen. Danke an die beiden Verfasserinnen, dass sie uns an ihren Erlebnissen aus Lützerath, an ihrer so unterschiedlichen und letztlich gleichermaßen schmerzerfüllten Sichtweise und an ihrer Verletzlichkeit teilhaben lassen. Auch Sprache kann Gewalt sein – und nachhaltiger schmerzen als ein Fußtritt!

Danke an Ron Weimann für die ausdrucksstarken Fotos!

 

K: Ich war heute in Lützerath, aber es gibt wenig zu berichten.

I: Ich muss leider berichten, dass es nicht so ruhig war, wie K. schreibt.

K: Die Bagger haben das Haus neben dem Junkerhof weiter abgerissen, die Security stand rum und hat gefroren, die Polizei stand auch rum, hatte schlechte Laune und hat außer der Presse keinen durchgelassen. Ich hab das kleine Kreuz geholt und mich auf die Straße gestellt. Es gab viel Staub, und die Atmosphäre der totalen Zerstörung, die ein Fotograf mit „Endlösung“ betitelte, ist etwas, woran sich wohl jeder nur schwer gewöhnen kann. Das ist schon verrückt, wie seelenruhig die Polizisten da stehen und die braven Bürger bewachen, während hinter ihnen krachend die Welt untergeht. Nach und nach kamen ein paar Aktivisti dazu und haben Fußball gespielt, wie sich herausstellte: als Vorbereitung für eine Aktion. Aber zuerst haben die Polizisten ein paarmal mitgekickt, und die Securities auch. Auf unserer Seite Freude über so viel „Menschlichkeit“.

I: Ich war eben in der Nähe der Lützerather Bushaltestelle, als, während eines Aktivisti-Fußballspiels auf der Straße, zwei oder drei Aktivisti versuchten, über die Abzäunung zu gelangen, und auch rapp-zapp „Team Blau“ in einer Stärke von mindestens dreißig und einige Securities dies verhindern konnten und ein Gerangel der Polizisten auch mit den übrigen Aktivisti begann. Ich war Augen- und Ohrenzeuge geworden, als Mensch an dem mit Klettverschluss befestigtem Polizei-Emblem am Uniform-Oberarm hängenblieb und dieses danach halb lose hing und der Polizist ihn anschnauzte: „Ey, bist Du behindert?!“ – Ich bin daraufhin sofort laut verbal dazwischengefahren und hab ihn mindestens fünf Minuten immer wieder mit seiner Aussage konfrontiert und dass er (vor allem als Beamter) für solch eine diskriminierende Äußerung mal bitte sofort hier vor Ort Stellung beziehen solle. Er hat versucht sich in die Reihe zurückzuziehen, hat dann auch endlich seinen MNS angezogen, und es war ihm durch mein penetrantes verbales „Dranbleiben“ dann wohl irgendwann zuviel und er hat sich hinter die Mannschaftswagen verkrümelt.

K: Das alles ging sehr schnell und war vorbei, bevor ich auch nur mein Handy zücken konnte. Die Polizisten haben die Aktivisti vom Zaun gepflückt und waren wenig zimperlich. Die Aktivisti wurden getrennt und Polizistinnen traten dazwischen, so dass man nur noch einen jungen Mann sehen konnte. Er fragte, auf welcher Rechtsgrundlage er hier abgeführt werde. Der Polizist hat nicht einmal geantwortet. Danach haben sie sich ziemlich seelenruhig ihr Mittagessen abgeholt. Das alles ist so sehr Alltag des Widerstands gegen RWE und gegen die Vernichtung der Braunkohlegebiete, dass es mir kaum ein Wort wert zu sein schien, zu oft habe ich das schon erlebt. Ich komme aus einem gewalttätigen Elternhaus und kann Gewalt sehr schlecht sehen. Gewalt lähmt mich umfassend und macht mich stumm. Den Ausspruch „Ey, bist du behindert?“ habe ich nicht selbst gehört, nur I’s Reaktion mitbekommen. Ich habe ihr einige Male die Hand auf den Rücken gelegt, um sie zu beruhigen und zu erden. Aber sie war so aufgebracht, dass sie es nicht wahrgenommen hat. Sie war den Tränen nahe.

I: Mein immer wiederholtes Nachfragen nach dem Einsatzleiter bzw. dem Kommunikationsbeamten blieb sehr lange ungehört – aber irgendwann stand dann ein älterer Polizeibeamter vor mir.

K: Ein älterer Polizist hat ihr angeboten, vom Ort des Geschehens wegzugehen und mit ihr zu reden. Man konnte förmlich sehen, wie er seine Schulung „Umgang mit schwierigen Bürgern“ auspackte. Aber I. war ganz auf den Polizisten konzentriert, der diesen Ausspruch getan hatte. Vielleicht hat sie das Angebot gar nicht mitbekommen. So was ist auch nicht echt. Die unterhalten sich freundlich mit dir und im nächsten Augenblick schlagen sie freundlich zu. Das kenne ich auch schon.

I: Da auch mit ihm kein „Ausräumen und Klarstellung“ zum besagten Ausspruch des Untergebenen möglich war, habe ich alle „Spalierstehenden“ nochmal lautstark beschworen, dieses Problem doch auch mal in den eigenen Reihen zum Gesprächsthema zu machen, und als Schluss-Satz blieb mir dann nur, der ganzen Truppe nochmal mitzugeben, dass SIE („TEAM BLAU“) es sind, die uns (auch durch solche Aussprüche) radikalisieren.

K: Da hat sie Recht. Das wollte ich dem Polizisten auch sagen. Die ganze Geschichte meines Widerstandes schoss mir durch den Kopf. Aber dann dachte ich mir, es hat keinen Zweck, dem Polizisten das zu erklären, dass gerade die Polizeigewalt zum Widerstand führt. Er hätte es eh nicht verstanden. Gegen drei Uhr bin ich dann gefahren – mit einem schmerzhaften Gefühl der Vergeblichkeit meines Tuns und der Scham darüber, dass ich vor der Gewalt in die Knie gehe, statt aufzustehen. Wir alle und ich alte Frau insbesondere, weil keinerlei Gefahrenpotential verkörpernd, sind der Polizei so egal wie eine Wolke am Himmel.

I: Ich hab dann nicht den Weg genommen, den der Polizei-Mannschaftsführer mir gewiesen hatte, um den Ort zu verlassen, sondern bin hinten weg über Eckardts Wiese erstmal zur Mahnwache, hab mein vorher bereits entzündetes Kerzenlicht bei Maria besucht und bin dann Richtung Mordor geradelt um da mal vier laute Schreie loszuwerden und mich mal richtig auszuweinen. Und selbst da hätte ich mir gewünscht, meine Schreie wären nachgeklungen. NEIN; dieses Loch verschluckt sogar unsere Schreie. Und als ich dann abends vor der Telko, dies erzählte und dann von K. mir anhören musste, dass solche Sprüche doch zur Normalität gehören, da fing ich wirklich an zu zweifeln, ob ICH ALLEINE im FALSCHEN FILM bin?!? Wofür gehen wir als KiDl [Initiative ‚Die Kirche(n) im Dorf lassen‘] denn auf die Straße? – frag ich mich da im Ernst // Ist es nicht GENAU JETZT AN DER ZEIT, all diese lebensverachtenden Strukturen auf breiter Front zu bearbeiten und auch aufs Tapet zu bringen?

K: Die Bilder und die Schreie waren ziemlich überwältigend. Ich hatte Mühe mit dem Straßenverkehr und konnte nicht schlafen. Immer wieder sah ich den jungen Mann, sein Ringen um Würde dort unten im Straßenschmutz, und hörte, wie unglaublich aggressiv der Polizist ihn anbrüllte. All diese Zerstörung, diese Gewalt – wofür?! Was macht das – mit uns allen?! Als I. abends davon berichtete, dachte ich nur noch, ‚in der Schule höre ich das zehnmal am Tag‘. Ich hatte keine Kraft mehr, mich gegen den Polizisten zu wehren, und habe seinen Spruch einfach hingenommen. Aber sie hat schon Recht: Es ist ein Unterschied, ob das Kinder sagen oder Erwachsene. Sie ist nicht im falschen Film. Es ist die Polizei, die die die Bürger und die Benachteiligten gegen Gewalt schützen sollte, statt selbst in Wort und Tat Gewalt zu sein.

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Gemeinsame Pressemitteilung von „Alle Dörfer bleiben“ und „Die Kirche(n) im Dorf lassen“ zur angekündigten Entwidmung der Keyenberger Pfarrkirche

Bedrohtes Dorf Keyenberg: Kirche soll vorzeitig entwidmet werden / Anwohnende entsetzt über Vorgehen der Pfarrei

Keyenberg/Erkelenz. Die Heilig-Kreuz-Kirche im von der Abbaggerung bedrohten Dorf Keyenberg soll nach Plänen der Pfarrei Christkönig Erkelenz bereits am 21. März 2021 entwidmet werden. Die Glocken der Kirche sollen laut einem Schreiben der Pfarrei „in naher Zukunft“ herabgelassen und in der Petruskapelle in Keyenberg-Neu aufgehängt werden. Der zuständige Bischof Helmut Dieser hatte eine Nutzung bis Ende des Jahres zugesagt. Anwohnende aus Keyenberg und kirchliche Initiativen üben scharfe Kritik am Vorgehen der Pfarrei. Sie sehen in der vorgezogenen Entwidmung den Versuch, noch vor der neuen Leitentscheidung zur Braunkohle im April Tatsachen zu schaffen.
„Pfarrer Rombach und der selbsternannte Ortsausschuss entscheiden im Alleingang gegen den Willen von uns Keyenbergern. Anstatt wie vielfach gefordert erstmal abzuwarten, soll unsere Kirche nun mitten in der Corona-Pandemie entwidmet werden. Vor allem älteren Dorfbewohnern wird damit ohne jede Not die Möglichkeit genommen, sich angemessen von ihrer Kirche zu verabschieden. Wir sind fassunglos, dass die Pfarrei Christkönig sich auf dieses Trauerspiel mit RWE einlässt“, sagt Helmut Kehrmann aus Keyenberg.
Im Dezember 2020 war öffentlich geworden, dass Wirtschaftsminister Altmaier über ein Jahr lang die Herausgabe einer Studie verweigerte, die belegt, dass Keyenberg sowie vier weitere Dörfer am Tagebau Garzweiler II mit den Beschlüssen der Kohlekommission erhalten werden könnten.
„Keyenberg kann bleiben, das ist spätestens durch das verheimlichte Gutachten der Bundesregierung klar geworden. Das weiß auch Pfarrer Rombach. Es ist eine bodenlose Unverschämtheit, dass er unsere Kirche nun möglichst schnell entwidmen will, um noch vor der ausstehenden Leitentscheidung unumkehrbare Fakten zu schaffen“, so die ehemalige Küsterin der Keyenberger Kirche, Hedwig Drabig.
„Wir möchten Bischof Dieser daran erinnern, dass er zugesagt hat, die Entwidmung zu überdenken. Halten Sie ihr Wort und setzen Sie als Christ ein starkes Zeichen für die Bewahrung der Schöpfung“, so der Theologe Jan Niklas Collet von der ökumenischen Initiative „Die Kirche(n) im Dorf lassen“. „Die kulturgeschichtlich bedeutsame Dorfkirche Heilig Kreuz muss weiterhin dem Gottedienst gewidmet bleiben und darf nicht der Profitlogik von RWE geopfert werden. In diesen schweren Zeiten brauchen wir Orte, die Landmarken der Hoffnung sind.“

Unter Einhaltung der Corona-Schutzmaßnahmen lädt die Initiative „Kirche(n) im Dorf lassen“ am Sonntag den 24.01.2021 um 12.00 Uhr zu einem  Gottesdienst vor der Keyenberger Kirche ein. Unter dem Motto, „Mit meiner Stimme schreie ich zum Herrn; mit meiner Stimme flehe ich zum Herrn“, soll dort ein Zeichen gegen die Entwidmung gesetzt werden.